aus Amnesty International: „Wider das Vergessen von Heldinnen gegen das Unrecht“ (Adresse und Konto-Nummer am Ende des Berichts). e-mail:
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Themenbericht
MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER – Die vergessenen Helden von heute
Unter Einsatz des eigenen Lebens im Dienst der Menschenrechte
Als der britische Rechtsanwalt Peter Benenson im Mai 1961 einen ganzseitigen Artikel im Observer unter dem Titel „Die vergessenen Gefangenen“ veröffentlichte, löste er einen Sturm der Empörung aus. Er hatte geschrieben, dass überall auf der Welt Menschen im Gefängnis sitzen, obwohl sie gegen keine strafrechtliche Norm verstoßen, sondern weil sie ihre Menschenrechte in Anspruch genommen haben. Über 1000 Leserinnen und Leser meldeten sich und boten Benenson an, ihn bei seiner Arbeit für politische Gefangene zu unterstützen. amnesty international (ai) war geboren.
Inzwischen hat ai weltweit über eine Million Unterstützer und kann immer wieder erfolgreich gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen. Doch noch immer werden weltweit unzählige Menschen verfolgt, weil sie ihre Meinung sagen, gegen Unrecht kämpfen und sich für den Menschenrechtsschutz stark machen – häufig unter Einsatz ihres eigenen Lebens: Menschenrechtsverteidiger.
Die türkische Rechtsanwältin Eren Keskin setzt sich seit Jahren für Frauen ein, die in Polizeihaft Opfer von sexueller Gewalt wurden. Aus politischen Gründen erhielt sie ein einjähriges Berufsverbot.
Menschenrechtsverteidiger stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, demokratische Freiheiten und rechtsstaatliche Strukturen zu erstreiten. Sie kämpfen gegen Straflosigkeit und für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Sie setzen sich für Folteropfer ein, prangern „Ehrenmorde“ an, verteidigen die Rechte von Minderheiten oder decken staatliche Willkür auf. Menschenrechtler leben gefährlich. Sie stören ökonomische, sicherheitspolitische oder machtpolitische Interessen und untergraben allzu leicht das saubere Image ihres Landes, indem sie unbequeme Wahrheiten sagen. Rund um den Erdball werden sie deshalb zur Zielscheibe von staatlicher Repression. Sie werden schikaniert, unter Hausarrest gehalten, auf Schritt und Tritt beschattet oder willkürlich verhaftet. Menschenrechtler fallen dem „Verschwindenlassen“ zum Opfer, werden gefoltert und nicht selten ermordet.
Die Russin Swetlana Gannuschkina erhielt in diesem Jahr den Menschenrechtspreis von ai. Sie setzt sich in Moskau für tschetschenische Flüchtlinge ein.
Fast täglich erhält amnesty international Nachrichten dieser Art. Ob die birmanische Oppositionspolitikerin Daw Aung San Suu Kyi, die türkische Anwältin Eren Keskin, der kolumbianische Gewerkschaftler Heberth Hernando Ruiz Rios oder Jacqueline Moudeina, Anwältin aus dem Tschad – sie alle sind und waren immer wieder Schikanen, Verfolgung und Todesdrohungen ausgesetzt. Auf die Frage, woher diese Menschen den Mut und die Motivation nehmen, trotzdem weiter zu machen, erhält ai immer wieder die gleiche Antwort: Ich kann nicht anders.
Am 10.12., dem internationalen Tag der Menschenrechte, wird die iranische Menschenrechtsaktivistin Shirin Ebadi für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte im Iran mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Auch sie wurde mehrfach wegen „Störung der öffentlichen Meinung“ verhaftet und verurteilt. Immer wieder hatte sich amnesty international in dieser Zeit mit Eilaktionen für sie eingesetzt.
Die Iranerin Shirin Ebadi erhält für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte den Friedensnobelpreis 2003.
Für einen Augenblick wirft die Auszeichnung das mediale Interesse auf das Leben der Frauen und Männer, die sich wie Ebadi der Verteidigung der Menschenrechte verschrieben haben. Doch allzu schnell geraten sie auch wieder in Vergessenheit. Der chinesische Dissident Wei Jingsheng weiß aus eigener Erfahrung zu berichten: „Es gab immer dann Verbesserungen meiner Haftbedingungen, wenn der Druck von Menschenrechtsorganisationen, Medien und Regierungen besonders groß war. Wenn der Druck nachließ und die westlichen Politiker auf ’stille Diplomatie‘ mit der KP setzten, verschlechterten sich sofort die Bedingungen von uns politischen Gefangenen.“
Wenn daher Bundeskanzler Schröder nach einer China-Reise öffentlich verkündet, dass das Ansprechen von Menschenrechtsverletzungen bei Staatsbesuchen „nie mehr als ein Ritual“ sei, dann ist dies ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die seit Jahren Verfolgung und Misshandlung ausgesetzt sind. Und es ist zynisch gegenüber denjenigen, die sich seit Jahren gemeinsam mit amnesty international für die Menschenrechte einsetzen. Denn seit über 40 Jahren machen die Eilaktionen, die ai für einzelne Menschen startet, weltweit Hoffnung. Ein ehemaliger Richter aus Äthiopien, der in seiner Heimat neun Jahre als politischer Gefangener inhaftiert war, beschreibt die Wirkung der Appelle so: „Es war ein einzigartiges Gefühl, als ein uns wohlgesonnener Soldat eine Nachricht von amnesty international in unsere Zelle schmuggelte. Unser psychisches Befinden änderte sich schlagartig. Es war das Wissen darum, dass die Außenwelt, dass Menschen, denen man niemals begegnet war und die uns auch nicht kannten, sich trotzdem für uns engagierten. Wir schöpften wieder Hoffnung. Einer meiner Freunde, der mit mir im Gefängnis saß, vertraute mir damals an, er habe ernsthaft überlegt, Selbstmord zu begehen. Dieses Stück Papier, das in unsere Zelle geschmuggelt wurde, hat ihm seinen Lebenswillen zurückgegeben.“
ai hilft nicht nur durch Eilaktionen. ai unterstützt Menschenrechtsverteidiger auch logistisch und finanziell – ob es sich um den Aufbau eines elektronischen Netzwerkes für Menschenrechtsverteidiger in Mittel- und Südamerika, die technische Ausstattung von Büros in Indien oder die Übernahme der ärztlichen Behandlungskosten für Menschenrechtler wie Jacqueline Moudeina, die im Tschad wegen ihres Engagements schwer gefoltert wurde und derzeit in Paris im Krankenhaus liegt, handelt. Die türkische Rechtsanwältin Eren Keskin erhielt aus politischen Gründen ein einjähriges Berufsverbot, um ihr so die Existenzgrundlage zu entziehen. Damit sie sich weiter für die Menschenrechte einsetzen kann, unterstützt ai Eren Keskin mit einer monatlichen Geldsumme. Der in seinem Heimatland Liberia verfolgte James Torh konnte mit Hilfe von amnesty international nach Spanien flüchten und wurde dort in ein ai-Programm zum Schutz von Menschenrechtlern aufgenommen.
Das Wissen, dass die Welt hinschaut, wenn Unrecht geschieht, stellt die größte Hoffnung für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen dar und ist zugleich das größte Druckmittel gegenüber den für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen. Wir können Menschenrechtsverteidiger nur schützen, wenn wir uns tagtäglich erneut empören und dafür sorgen, dass die vergessenen Helden von heute ins Rampenlicht des öffentlichen Bewusstseins gelangen. Wir müssen uns öffentlich solidarisch zeigen mit denen, die unter Gefahr von Leib und Leben für die Menschenrechte kämpfen. Das bedeutet auch, dass wir eine Politik der „stillen Diplomatie“ nicht einfach akzeptieren dürfen. „Wer sich für die Menschenrechte entscheidet, der entscheidet sich für ein Gegengewicht zur politischen Macht“, sagte Nobelpreisträgerin Ebadi in einem Gespräch mit ai. In ihrem Kampf für die Menschenrechte berufen sich Menschenrechtsverteidiger überall auf der Welt auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Menschenrechte sind kein westliches Kulturgut, sie sind Referenz und Hoffnung aller, die an eine gerechtere Welt glauben. Und sie dürfen nicht relativiert werden wie es derzeit im Namen der Terrorismusbekämpfung geschieht.
amnesty international setzt sich für Menschenrechtsverteidiger weltweit ein und arbeitet gegen das Vergessen dieser Helden und Heldinnen von heute. Sie können uns dabei mit Ihrer Fördermitgliedschaft unterstützen!
letzte Aktualisierung: 4. Dezember 2003
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