Das Beste seit langem. Die freie FILM-Aufarbeitung des DUTROUX-Falls.
30. September 03 –
Gleich ein Uhr in der Nacht.
Die erste Stunde im neuen Tag.
Sans souffle – atemlos – die Seelentemperatur minus 100 Grad – bleibst Du zurück.
Und versicherst Dich, dass die Türen gut verschlossen.
Und die Fenster auch, so Du Parterre wohnst…
als Frau…oder schaust schaudernd nach,
ob Deine Kinder auch ruhig und sicher …ja…sie schlafen.
Ruhig, sicher, und in Sicherheit.
Das Kriminaldrama
„REINE FIKTION – (PURE FICTION) DIE VERBRECHEN VON CHARLEROI – “ von 1998.
Bei 3sat.
Gestern Abend.
Beginn 23 Uhr 10 .
Bis jetzt.
Vielleicht kein Zufall, dass es eine Frau ist, die den „FALL DUTROUX“ filmisch frei nacherzählt –
die Regisseurin Marian Handwerker.
Cécile, eine junge Frau, erkennt in einer Kneipe den Mann an der Stimme wieder, der sie als Mädchen vergewaltigt hat.
Sie findet seinen Namen heraus.
Seine Adresse.
Geht damit zur Polizei.
Die winkt ab.
Der ehemalige Untersuchungsrichter in ihrem Fall liegt im Krankenhaus.
Ein nervliches Wrack.
Sein Kollege ertrank im Urlaub.
An der Cote d’Azur.
Ihm selbst und seiner Familie ist mehrfach mit dem Tod gedroht worden.
Wenn er „Cécile“ und ähnliche Fälle…
weiter verfolgt.
Sie sind ihm von „oben“ längst entzogen.
Cécile kommt einem Päderasten-Netzwerk auf die Spur, das bis in höchste gesellschaftliche und politische Kreise reicht.
Als sie ein 7-jähriges Schulmädchen vor den beiden Kinderfängern Dutroux und Kumpel retten will,
bezahlt sie mit ihrem eigenen Leben.
Marian Handwerker erzählt die Geschichte der professionellen Kinderfänger mit jener kühlen Sezierfähigkeit, die das Blut zu Eis gefrieren lässt.
Wer eine Andeutung von Voyeurismus erwartet hat – Fehlanzeige!
In lakonischer Nüchternheit serviert – nimmt der Zuschauer an dem Job teil, den zwei minder-gutaussehende, zwei durchschnittliche, völlig unauffällige Typen mittleren Alters tun.
Es ist ein Job, die Ware „Kind“ zu organisieren.
Einen Keller als Aufbewahrungsort zu zementieren, bis die Ware abgeliefert wird.
Es ist ein Job, jemanden zu töten, der gefährlich werden kann.
Beim Schlußbild sieht man die Kippe im Mundwinkel hängen, von Dutroux, als er und sein Kumpel nur geringfügig irritiert vor der Flamme zurückweichen, in der die beiden in Decken gewickelten Körper verbrennen, die sie gerade mit Benzin übergossen und mit ihrem Sturmfeuerzeug angezündet haben.
Nachdem sie darüber geflucht haben, wie verdammt schwer die Körper sind, die sie wie Säcke über ihrem Rücken trugen.
Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um zwei kleine Mädchen handelt:
jene, die der „hohe Kunde“ für 150.000 Franc „pro Stück und in gutem Zustand bitte“
bei Dutroux in Auftrag gegeben hatte.
Als Weihnachtsgeschenk für Freunde.
Der Film endet mit der Schriftzeile:
„DIE FIKTION IST EINE LÜGE. DIE WAHRHEIT IST VIEL SCHLIMMER.“
Was macht den Film so beklemmend?
Obwohl die „Fakten“ in groben Zügen bekannt sind?
Die Fakten der vielen Toten.
Und der mörderischen Vereitelung der Auflösung des Falls Dutroux, Belgien?
Es ist der dramaturgischen Film-Erzählkunst der Marian Handwerker zu verdanken.
In deutschen Filmen namens „Krimi“ wird der Zuschauer gern mit Schreien, Kreischen und unerträglichen Gewaltszenen malträtiert.
Und einem Gut-Böse-Schema.
Marian Handwerker erzählt.
Verzichtet auf Psychologie, Pädagogik, und Schrei-Schieß-Palaver.
Vielleicht wirkt der Film so makaber-realistisch, weil er das Verbrechen in der Beiläufigkeit, Normalität eines Bürojobs darstellt.
Gefühllosigkeit als Berufsgefühl.
Sonst aber doch Menschen, wie jeder andere auch, nicht wahr.
Die Gewohnheiten des Alltags.
Dutroux’s Frau bringt Kaffee in einer Camping-Thermoflasche in den Keller.
Wo die beiden Männer den schrei-sicheren Keller zementieren. Stein auf Stein schichten.
Sie freuen sich über den Kaffee aus der Plastik-Thermoflasche.
Der kleine Sohn, der in die Arme seines Papas, Dutroux, fliegt.
Und der normale schmutzigweiße Van, in dem Kinder, die wie Tiere gefangen wurde, transportiert werden, er steht doch fast vor jedem zweiten Haus.
Alles banal normal.
Céciles Augen hinter den Scheiben des alten, vom Freund geliehenen PKW, in dem sie die Kinderfänger aufspürt.
Beobachtet.
Verfolgt.
Der Zuschauer sitzt mit in diesem Auto, spürt, dass es kalt und zugig ist.
Weiß, dass Cécile allein ist.
Zittert, ob Dutroux und Kumpel sie nicht jeden Augenblick im Rückspiegel bemerken.
Céciles Atem. Cécile, schauend, blickend, an einem Fingernagel kauend.
Vorsichtig Abstand haltend.
Dann das kleine Mädchen.
Abgesetzt von einem Traktor an der Haltestelle des Schulbusses.
Der Van mit den Kinderfängern gibt Gas und Cécile gibt Gas – springt aus ihrem kleinen Wagen, will das Kind den beiden Männern entreißen.
Die Kamera beobachet dies alles weit entfernt. Auf einem Hügel stehend.
Sie sieht die Gesten. Hört Stimmen.
Und sieht wie mit einem großen Gegenstand auf etwas eingeschlagen wird, das unterhalb des Blickfelds liegt..
Auch am Leben der Täter nimmt der Zuschauer teil.
Dutroux ist ein witziger Vater seines fünfjährigen Sohns.
Ein liebevoller, ausgesprochen witziger Vater. Ja.
Hat Probleme mit seiner Frau.
Die es scharf findet, wenn er ihr von der „Ware“ erzählt, die er auch ausprobiert hat.
Seine Frau wird erst eifersüchtig, als er plötzlich nicht „kann“.
Und will nichts davon wissen, dass er für einen „hochstehenden Kunden“ zu Weihnachten zwei Mädchen unter 12 Jahren als Geschenk organisieren soll.
„Es bringt uns doch gutes Geld!“ sagt Dutroux überrascht.
Schüttelt mit dem Kopf. Was hat sie bloß, seine Frau?
Sein Kumpel, auf Droge, macht mit, weil er auch gute Kohle..ja, dann…
und er versteht auch, daß all die beseitigt werden müssen, die das gute Geschäft für alle – kaputtmachen könnten.
Wunderbar schmierig kommt die belgische Polizei weg in der lakonisch-nüchternen Darstellung berufsmäßiger Menschenfänger und Killer.
Auch der angstschlotternde Ex-Ermittlungsrichter vermag kein Mitgefühl erwecken.
Der katholische Geistliche, der ärgerlich ist, weil die „Ware“ auf dem Video, dessen verzweifelte Schreie zu hören sind, mit circa 5 Jahren zu alt ist…
„Kann ich nicht gebrauchen. Zu alt!“
Brummt der Priester im Morgenrock in seiner Wohnung.
„Warum so jung?“
fragt Dutroux sachlich und verspricht zu tun, was sich machen lässt, um den Priester zufriedenzustellen.
Ein starker Film einer großen Regisseurin – ein starkes Engagement gegen das Unrecht, die Korruption, das Verbrechen.
FÜR die UNSCHULD………
FÜR DIE GERECHTIGKEIT – das RECHT.
Ob es in Belgien je wieder eine Chance haben wird? Das Recht?
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