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BERLINER ZEITUNGSKRIEG
Clement ruft zum Krisengipfel
Im Kampf um die Vorherrschaft um den Berliner Zeitungsmarkt drohen die Verlage Springer und Holtzbrinck damit, ihre Hauptstadt-Blätter einzustellen. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement gibt sich unentschlossen und will einen runden Tisch einberufen.
DPA
„Berliner Zeitung“ und „Tagesspiegel“: Wer überlebt?
Berlin – Kommt sie nun, die Ministererlaubnis, oder kommt sie nicht? Auf diese Frage gab Clement nach einer mehr als fünfstündigen Anhörung nur Worthülsen von sich: „Wir sind in keiner Richtung festgelegt“, sagte er. Und den folgenden Satz: „Dabei wissen wir alle, dass wir uns auf einem ziemlich sensiblen Feld bewegen“.
Wie sensibel der Fall „Berliner Zeitung“ ist, machten zwei Kontrahenten unmissverständlich deutlich. Stefan von Holtzbrinck verlangt von Clement, trotz des Verbotes vom Kartellamt, die Übernahme der „Berliner Zeitung“ per Ministererlaubnis abzusegnen. Ansonsten, so der Verleger, werde er den „Tagesspiegel“ nicht mehr am Leben erhalten. Das Blatt mache weiterhin „hohe Verluste“ und Kaufinteressenten gebe es nicht. Von einer Einstellung wären 300 Arbeitsplätze betroffen. Auf der Gegenseite brachte der Springer Verlag ähnlich kräftige Drohungen ins Spiel: Sollte die Ministererlaubnis kommen, so wäre dies der „Todesstoß für die „Berliner Morgenpost“ und die „Welt“, sagte Springer-Geschäftsführer Josef Probst.
Bis Mitte Mai müsse Clement entscheiden, um die Übernahme doch noch zu ermöglichen. Dabei vertraut der Minister offenbar nicht allein auf sein eigenes Urteil. Clement regte ein Gespräch der Zeitungsverlage mit Bund und Ländern an, um gemeinsam nach Lösungen aus der Zeitungskrise zu suchen.
Holtzbrinck hatte die Sondergenehmigung beantragt, nachdem das Bundeskartellamt den Kauf des Berliner Verlags vom Konkurrenten Gruner + Jahr aus wettbewerbsrechtlichen Bedenken gestoppt hatte. Zu dem Verlag gehören bereits die Boulevardzeitung „Berliner Kurier“ sowie die Stadtillustrierte „Tip“. Neben der Springer-Führung hatten sich die Manager mehrerer andere Zeitungs- und Zeitschriftenverlage gegen die Übernahme der „Berliner Zeitung“ ausgesprochen.
Der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke wertete die Schließungsabsichten der Verlage als „unzulässigen Druck auf die politischen Entscheidungsträger“. Ver.di sei gegen eine Fusion von „Berliner Zeitung“ und „Tagesspiegel“, da dadurch „weitere Einschränkungen der Presse- und Meinungsvielfalt in der Hauptstadt“ zu befürchten seien.
Auf der Grundlage des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen darf die Ministererlaubnis nur erteilt werden, wenn die „gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ schwerer wiegen als die wirtschaftlichen Bedenken oder ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ besteht. Holtzbrinck argumentiert, dass nur bei einer Übernahme der „Berliner Zeitung“ die Pressevielfalt in der Hauptstadt erhalten werden könne und dies dem Gemeinwohl diene. In der deutschen Medienlandschaft wäre es das erste Mal, dass eine Ministererlaubnis für die Übernahme einer anderen Zeitung erteilt wird.
Mit einer Auflage von derzeit 192.000 Exemplaren ist die „Berliner Zeitung“ die größte Abonnement-Zeitung in der Hauptstadt. Es folgen die „Berliner Morgenpost“ (150.000) und der „Tagesspiegel“ (139.000). Die beiden Springer-Boulevardzeitungen „B.Z.“ und „Bild“ bringen im Verkauf im Großraum Berlin 243.000 beziehungsweise 141.000 Exemplare über die Ladentische. Beim „Kurier“ sind es 140.000.