Schüler-for-PEACE

Damit in Kürze auch dieser hervorragende Artikel, von, klar, spiegel-online (der bessere SPIEGEL..hihi) nicht verlorengeht –
hier für Euch aufgehoben der analytische Artikel über die deutschen SCHÜLER als die leidenschaftlichsten Kriegsgegner.

„Augen zu und Finger hoch“ – von Markus Deggerich.

GENERATION GOLFKRIEG

Augen zu und Finger hoch

Von Markus Deggerich

Die neuen Helden sind jung, unideologisch und wütend. Der Strom der Schüler schwillt an, die gegen den Irak-Krieg auf die Straßen gehen. Von einer neuen Friedensbewegung schwärmen die Nostalgie-süchtigen Feuilletons – und legen sie erst mal auf die Couch. Wer sind die Protestierer eigentlich, was treibt sie an, wie heißt ihr Protestsong?

REUTERS

Finger hoch für den Frieden: Ein Demonstrant schwenkt die Regenbogenflagge, das Symbol der neuen Friedensbewegung

Berlin – Den Frieden gibt es nicht umsonst. Der Krieg im Irak strapaziert offenbar nicht nur den US-Haushalt, sondern sorgt auch bei Teilen der deutschen Friedensbewegung für Ebbe in den Kassen. Vor allem Schüler und Jugendliche sind es, die ihren Protest auf die Straße tragen – und damit ungeahnte Finanzprobleme schaffen. Die globalisierungskritische Organisation Attac bittet ihre 10.600 Mitglieder in Deutschland nun um Spenden und zinslose Darlehen, weil wegen der vielen Demonstrationen und Proteste das Geld knapp werde. „Wir haben furchtbar viel ausgegeben. Die Friedensaktivitäten haben alles gesprengt, was wir uns vorgestellt hatten“, sagt Attac-Sprecherin Jule Axmann. Dies bringe die Organisation in einen akuten Liquiditätsengpass – andererseits sei das „natürlich schön“.

In zahllosen, täglichen Einzelaktionen und Massendemonstrationen an den Wochenenden machen sich die Menschen ihrem Ärger, ihrer Verzweiflung und ihrer Angst Luft. Und kaum hat sie sich formiert, liegt sie auch schon wieder auf der Analysecouch der Feuilletons – die Friedensbewegung.

Von einer Generation Golfkrieg ist die Rede, weil sich fast alle einig sind, dass vor allem Schüler die tragende Säule sind. Die „Süddeutsche Zeitung“ vermisst bisher nur einen eigenen „Protestsong“ in der Ästhetik des Widerstands, damit aus diesem Friedensfrühling ein „summer of love“ werden kann.

Neue Helden hat das Land: die Schüler. Das hessische Kultusministerium hat angeordnet, dass jene Schüler, die wegen einer Demo dem Unterricht fernblieben, einen Eintrag ins Zeugnis bekommen sollen, wegen unentschuldigten Fehlens. Ein Bärendienst. Es ist jetzt schon abzusehen, berichten Schülersprecher, dass der Eintrag als Auszeichnung empfunden wird. Wer ein „sauberes“ Zeugnis nach Hause bringt, gilt als Weichei, Feigling, Kriegstreiber und – die Höchststrafe – als Bush-Sympathisant.

Keine unpolitische Generation

AP

Weltweite Proteste: Indisches Kind mit Plakat

Die Massenproteste empörter Schüler gegen den Golfkrieg zeigen aus Sicht von Jugendforschern, dass die heutige Teenager-Generation nicht so unpolitisch ist wie oft behauptet. Eine ganz neue Friedensbewegung sei deshalb aber noch nicht im Kommen, sagt der Berliner Protestforscher Dieter Rucht. Laut seiner Einschätzung werden sich vielmehr einige der neu aktivierten Kriegsgegner schon bald mit bereits bestehenden globalisierungskritischen Netzwerken wie Attac verbünden. „Die aktuelle Protestbewegung wird, was ihre Masse angeht, verebben. Auf Dauer treten Ermüdungszustände ein“, prognostiziert der Sozialwissenschaftler.

Bemerkenswert findet Rucht, dass so viele Schüler auf die Straße gehen. Seine Erklärung: Gerade jüngere Leute treffe die Frage von Krieg oder Frieden empfindlich, „besonders wenn ethische Werte und die machtpolitische Realität knallhart kollidieren“.

Von Ermüdungserscheinungen ist vor der amerikanischen Botschaft in Berlin noch nicht viel zu sehen. Dort gibt es eine ständige Mahnwache mit mobilem Labor zum Plakate malen, Gästebuch, und man hat sich ein paar Stühle geliehen vom benachbarten Café Einstein. Mit etwas Abstand hat auch die PDS einen Infostand aufgebaut, aber so richtig mitspielen dürfen sie nicht, wenn abwechselnd einer zum Absperrgitter der US-Botschaft geschickt wird, um den Mittelfinger zu zeigen: Gegen die freundliche Übernahme durch Parteien wehren sich Friedensaktivisten fast so heftig wie gegen Bomben auf den Irak.

Augen zu und Finger hoch

Mit den wachhabenden Polizisten an der US-Vertretung gibt es sogar Absprachen. Man darf den bösen Finger zeigen, wenn das als allgemeine Meinungsäußerung zum Ausdruck kommt und sich nicht beleidigend gegen Einzelpersonen richtet. Also Augen zu und Finger möglichst hoch.

Auch wenn die Massenproteste abflauen werden, gibt es nach Ruchts Analyse nicht zu unterschätzende Langzeiteffekte: „Viele Schüler verlieren derzeit ihre politische Naivität. Die erwachte Skepsis wird nun biografisch verankert, es setzt sich quasi ein kritisches Bewusstsein über die Zustände in dieser Welt fest.“

Den Reintyp des „unpolitischen Jugendlichen“ habe es ohnehin nie gegeben, meint Rucht. Die desinteressierte „Generation Golf“ sei eine Stilisierung der Medien, denn immer habe es auch politisch engagierte Jugendliche gegeben, etwa in Umwelt-, Dritte-Welt- und Menschenrechtsgruppen.

DDP

Neue Demokratiebewegung? Hamburger Schüler protestieren gegen den Irak-Krieg

Ähnlich sieht es der Magdeburger Jugendforscher Roland Roth: „Das Bild des unpolitischen Jugendlichen muss völlig revidiert werden.“ Kinder und Jugendliche seien in hohem Maße sensibel für Themen wie Krieg und Frieden, Umweltzerstörung und soziale Gerechtigkeit – stärker als viele Erwachsene. Die jüngste Shell-Studie habe gezeigt, dass über 80 Prozent der Jugendlichen sich mit Folgeproblemen der Globalisierung auseinander setzen. „Aus ihrer Sicht leben wir in einer sehr ungerechten Welt, in der die reichen Nationen die Armen in den Entwicklungsländern ausnutzen“, weiß der Experte.

Gerade deshalb wahren laut Roth viele Teenager skeptisch Distanz zur Parteien- und Regierungspolitik; zudem misstrauten sie der Problemlösungs-Kompetenz der heute Erwachsenen. „Deshalb ist Protest für sie umso dringlicher.“ Die Schüler engagieren sich nach Roths Beobachtung auch dann, wenn die Hoffnung auf schnelle Veränderung gering ist. „Sie haben nicht so ein abgeklärtes und taktisches Verhältnis zu Protesten.“ Auf lange Sicht sei eine bestimmte Form der Politisierung zu erwarten, meint Roth: „Die junge Generation lernt für die Zukunft, dass Protest eine gute Möglichkeit politischen Handelns ist.“

IN SPIEGEL ONLINE

· Umfrage: Jeder dritte Jugendliche protestiert gegen den Krieg (29.03.2003)

· Humanitäre Krise im Irak: „Wir haben die Kontrolle verloren“ (27.03.2003)

· Irak-Krieg: Medien sollen Bush als Feldherrn feiern [€] (27.12.2002)

· Irak-Feldzug: Die PR-Maschine der Alliierten stottert (28.03.2003)

· Wiederaufbau à la Rumsfeld: Das Ausland soll die Zeche zahlen (28.03.2003)

· Fotostrecke: „Liebe Terroristen – Bush kommt aus Texas“ (24.03.2003)

· Friedensdemos: Erneut weltweiter Protest (22.03.2003)

Angesichts der Proteste sieht Alt-Aktivist Konstantin Wecker gar eine neue Bewegung für mehr Demokratie aufziehen. „Die Friedensbewegung ist eher eine neue Demokratiebewegung, die nicht einsieht, dass Politiker gegen den Willen der Mehrheit handeln“, sagt Wecker in „TV Spielfilm“. Die Menschen seien heute informierter als früher und säßen nicht mehr jeder Propaganda auf, ist dort zu lesen.

Zur Kritik seines Dichter-Kollegen Wolf Biermann, der die Friedensbewegung als naiv kritisiert hatte, sagte der 55-Jährige: „Wie naiv ist die eigentlich, die Kriegsbewegung?“ Im Gegensatz zu Biermann sei er im Irak gewesen und wisse daher, wovon er spreche.

Wegen seines Aufrufs zur Fahnenflucht habe sich die Staatsanwaltschaft noch nicht gemeldet. „Der Aufruf war ja durchaus im Sinne des Grundgesetzes, welches deutschen Soldaten die Teilnahme an einem Angriffskrieg verbietet“, erklärte Wecker. Es sei an der Zeit, „Deserteuren eine Ehrenrettung zu verschaffen und den Heldenbegriff einmal neu zu definieren“.

Embedded Journalist in der Friedensbewegung

Das Protest-Handwerk beherrschen sie schon jetzt besser. Sie sind geübter im Umgang mit Medien als die einstigen Achtundsechziger, die beim Marsch durch die Institutionen bis ins Außenministerium Anzüge an- und Fantasie abgelegt haben. So wie die Kriegsparteien Journalisten instrumentalisieren, kennen auch die jungen Friedensprediger die Gesetze der Mediengesellschaft.

Die Widerstandsgruppe Resist will Journalisten nach dem Vorbild der US-Armee „embedden“. Sie sind eingeladen, die Gruppe auf ihrer Fahrt nach Hessen zur Blockade von US-Basen zu begleiten. „Sie können dabei sein, wie wir mitten in der Nacht ihren Fencheltee bereitstellen, Isomatten zusammenrollen und unseren Personalausweis suchen“, bietet Resist an, in feiner Anspielung auf die Kriegsberichterstatter, die auf Panzern durch die Wüste reiten und manchmal im Adrenalinkick ihre eigentliche Aufgabe vergessen.

Deshalb bietet Resist Live-Aufregung an der Heimatfront: „Nachdem alle Widerständler von fotogenen Polizisten weggetragen sind, hoffen wir natürlich, dass Sie als embedded Journalist eine Sondergenehmigung für das Polizeipräsidium erhalten werden. Sie erwarten spannende Bilder von in Gewahrsam genommenen FriedensaktivistInnen.“ Selbstredend übernimmt Resist auch die Reisekosten, was objektive Berichterstattung garantieren solle.

DPA

Kämpfen für den Frieden: Wasserwerfer gegen Schüler in Hamburg

Resist, die schon zwei Mal die Frankfurter US-Airbase blockiert haben, freuen sich über die große Unterstützung durch Schüler. „Die Jugendlichen haben ein gutes Gespür dafür, dass mit diesem Krieg womöglich entscheidende Weichen für ihre Zukunft gestellt werden“, sagt Resist-Sprecher Clemens Ronnefeldt. Während der Kriege in Afghanistan und im Kosovo hätten sich viele Menschen mit Protesten zurückgehalten, weil die offizielle Kriegspropaganda nicht so leicht zu widerlegen gewesen sei. „Aber diesmal hat es die öffentliche Meinung geschafft, die Lügen von Bush und Blair relativ schnell zu demaskieren“, sagt er.

Nach Einschätzung von Wissenschaftlern wird der Irak-Krieg nachwirken und vor allem der globalisierungskritischen Bewegung in den nächsten Monaten nochmals einen starken Zulauf bescheren. Laut Rucht liegt dies auf der Hand: „Es gibt natürlich Verbindungslinien zwischen der rein militärischen Seite und der globalen, ökonomischen, machtpolitischen Seite, wie sie sich schon jetzt vordergründig in dem Slogan ‚Kein Blut für Öl‘ ausdrücken.“

Bellizisten und Pazifisten

Natürlich werden auch in diesem Konflikt die alten Schlachten zwischen Bellizisten und Pazifisten geschlagen. Die einen sollen Bush-hörig und blind sein, die anderen naiv und die fünfte Kolonne des Diktators Saddam Hussein. Aber ein paar Grenzen verschieben sich.

Angela Merkel dampft mit ausgefahrener Lanze, wie die „Süddeutsche Zeitung“ bemerkte, auf ihrem Bush-Treu-und-Glauben-Kurs direkt in die politische Bedeutungslosigkeit, während die sonst gegenüber demonstrierenden Schülern und Studenten distanzierte „Bild“-Zeitung die Münchnerin Anna als neuen Friedensengel feiert, weil sie sich mit vollem Körpereinsatz, nämlich nackt, für die gute Sache engagiert. Neu ist an dieser Bewegung ja auch im Unterschied zu den sechziger bis achtziger Jahren, dass sie sich einigermaßen einig weiß mit ihrer Regierung. Der Feind steht woanders.

Die Friedensbewegung gibt den Kampf gegen den Irak-Krieg (noch) nicht auf. Die langfristigen Wirkungen sind nicht absehbar. Für das kommende Wochenende hat allein das „Netzwerk Friedenskooperative“ fast 50 Demonstrationen, Mahnwachen, Menschenketten und Kundgebungen in ganz Deutschland angekündigt. Eine der größten soll am Samstag in Berlin stattfinden. „Die Wut ist immer noch sehr groß“, sagt die Sprecherin der Friedenskoordination, Laura von Wimmersperg.

Auch den Vorwurf, die Friedensbewegung sei auf einem Auge blind und kritisiere nur den Krieg, nicht aber Saddam Hussein, wollen die Veranstalter nicht auf sich sitzen lassen. „Wir sind gegen alle Diktatoren“, sagt Ann Wertheimer von dem Bündnis der in Berlin lebenden Amerikaner, „aber wir sind nicht bereit, die Zivilbevölkerung in die Demokratie zu bomben“. Zu glauben alle Schüler und Jugendliche Deutschlands seien bereit, sich wie in Hamburg mit Wasserwerfern auf ihrem Friedenskurs bekämpfen zu lassen, ist aber genauso falsch.

Blitzkrieg als Spiel

Wissenschaftler warnen vor einer weiteren Militarisierung des Alltags. Die Live-Übertragungen von der Front, vor allem die unscharfen und gepixelten Bilder der Reporter via Videophone, erinnern in ihrer Ästhetik stark an Computerspiele. Viele junge Menschen lernen nicht mehr zu unterscheiden zwischen echten Toten und Fiktion. Sie diskutieren eher technische Feinheiten von Panzern und Raketen. Für andere wiederum braucht die Verarbeitung der Bilder von Kriegsopfern psychologische Begleitung durch Eltern und Lehrer.

Eine Begleitung des Kriegsgeschehens hat sich auch eine große Elektronik-Handelskette ausgedacht. In ganzseitigen, vierfarbigen Anzeigen wirbt sie dieser Tage für ihre DVDs und Spiele. Da gibt es den „Blitzkrieg“ in „3D-Echtzeit-Strategie“ für 47,95 Euro. Das Killer-Game „Resident Evil Zero“ für schlappe 59,59 Euro. Und besonders groß beworben wird das „PC-Spiel zum Film Black Hawk Down“.

Geiz ist geil? Weder der Frieden noch das Kriegsspiel ist umsonst.