The best: spiegel-online:“Krieg vorm TV…“

Jenseits aller Schnelligkeit..gleichzeitig atemberaubendes Einfangen der Stimmung an der „TV-Heimatfront“…(da FEM auch den realen SPIEGEL seit tausend Jahren kauft und auch schon die Großmutter spiegellesend…erlaubt sich FEM diesen spiegel-online-Artikelvon Reinhard Mohr in ihr kleines „best of“ mal schnell für Euch…zum Kaffee..:“Wetten daß“..und die Heimatfront“.

Ansonsten könnt Ihr auch direkt..geht auch ganz einfach unter www.spiegel.de…da kommt dann automatisch spiegel-online…ach, wirklich?
FERNSEHKRIEG

„Wetten dass…?“ und die Heimatfront

Von Reinhard Mohr

Es ist der vierte Tag des Krieges im Irak, die Nachrichten sind verwirrend und widersprüchlich, froh machen sie keinen. So schlimm die Wirklichkeit des Krieges zwischen Euphrat und Tigris ist, so bedrückend ist es an der Heimatfront, zu Hause auf dem Sofa.

REUTERS/Abu Dhabi Television

Bomben auf Bagdad: Melodramatischer Live-Teppich auf nahezu allen Kanälen

Seit den ersten Bombardements auf Bagdad am vergangenen Donnerstagabend verbringen Millionen Menschen Stunde um Stunde, Tag und Nacht vor dem Fernsehapparat. Manche können sich kaum losreißen von der unendlichen Flut der Bilder und Berichte, vom melodramatischen Live-Teppich auf nahezu allen Kanälen.

Schon werden aus dem Freundes- und Bekanntenkreis erste TV-Depressionen gemeldet, und das, während ganz Deutschland unter einem strahlend blauen Frühlingshimmel liegt. Irgendwie verrückt: Zum virtuellen TV-Krieg in Echtzeit, bei dem CNN-Kameras auf Kanonenrohrhöhe mit vorrückenden Panzereinheiten drehen und Live-Bilder noch in Saddams Bunker senden, gesellt sich ein surreales Bombenwetter, als hätte Salvador Dali zum Pinsel gegriffen.

Die Phasen der Couch Potatoes

Dass Krieg und Sonnenschein ganz und gar real sind, steigert noch das seltsame Unwohlsein der Couch-Potatos, die schon vor dem morgendlichen Duschen die Glotze anmachen und hektisch das rote Laufband studieren, beim Nassrasieren von anhaltenden Kämpfen um Basra hören und mit dem ersten Schluck Kaffee die Nachricht aufnehmen, B- 52-Bomber näherten sich wieder der Kampfzone.

Es scheint kein Entrinnen zu geben, und doch ist das subjektive Zuschauerverhalten ständig in Bewegung. Wer will, kann sogar Phasen erkennen.

Phase 1 war ein televisionäres shock and awe: Oh je, es geht los, Schrecken und Ehrfurcht, Gucken und Staunen.

Phase 2: Man hängt am visuellen Tropf der bruchlos ineinander über gehenden Sonder-, Spezial- und Dauerinformationssendungen, bis die Wiederholungsschleife über den brennenden Präsidentenpalast zum siebten Mal gelaufen ist und auch noch der letzte Brigadegeneral seine Meinung zum Häuserkampf geäußert hat.

Phase 3: Man kann nicht mehr und sehnt sich nach Fußball und Picknick im Freien. Spätestens gestern Abend um 20.15 Uhr war Phase 3 erreicht: „Wetten dass…?“ Trotz aller gegenteiligen Spekulationen: Die Mutter aller deutschen Samstagabend-Shows fand statt. Bange Frage aller Kulturkritiker und Programmverantwortlichen: Darf man das? Entertainment machen, während Bomben fallen?

Das Licht blieb an

AP

Phase drei: Armin Rhode springt nackt bei „Wetten, Dass…?“ über die Bühne

Als Thomas Gottschalk tapfer antwortete, gute Laune habe den Zustand der Welt noch nie verschlechtert, traf er jedenfalls auf ein äußerst dankbares Publikum. Gottschalks Friedensphilosophie „Wenn die Kinder sich fürchten, dann lässt man das Licht an“ war kurz, einprägsam und extrem anwendungsorientiert. Das Licht blieb an.

Zum Fürchten war an diesem Abend allein des Meisters brauner Cord-Anzug (oder war es ein Wildlederimitat), zu schweigen von dem schrecklich bunten Hemd und dem grässlichen Rudi-Völler-Bart, insgesamt ein klarer Verstoß gegen mehrere Uno-Resolutionen zur weltweiten Ächtung der ästhetischen Umweltverschmutzung.

Die Überraschung des langen Abends aus Luzern aber: Es gab keine Überraschung. Keine wirkliche Peinlichkeit, kein offenkundiger Zynismus, nichts dergleichen. Am ehesten noch: gepflegte Langeweile.

Bratgeräusche statt Bombenexplosion

Hape Kerkeling, der seine demnächst beginnende „70er Show“ vorstellen wollte, wurde ausgeladen, Geraldine Chaplin sagte, dieser Krieg sei „das Groteskeste, Schrecklichste und Traurigste“, was sie je erlebt habe, der Schauspieler Achim Rohde flitzte nach verlorener Wette („Bratgeräusche erkennen“) nackt über die Bühne und Rudi Völler wiederholte noch einmal die alte Fußballerweisheit: „Wir waren früher auch keine Chorknaben“. Das war nicht auf George W. Bush gemünzt, sondern auf Olli Kahn.

REUTERS

Küssen bei Gottschalk: Das russische Damenduo Tatu

Udo Jürgens („Ich wär‘ so gerne ein Bote aus besseren Welten“) und Andrea Bocelli („I believe“) sangen gut hörbar für den Frieden, und manch ein Zuschauer mag da gestöhnt haben: Okay and come on, in Kriegszeiten ist auch Kitsch erlaubt, wenn’s der Wahrheitsfindung dient.

Mr. Bean alias Rowan Atkinson zog noch ein paar herrliche Friedensgrimassen und Marco Rima schaffte es am Ende jesusgleich, trockenen Fußes den Vierwaldstätter See zu überqueren. Den Luzerner Bootsbesitzern sei Dank: Die Stadtwette war gewonnen.

Die TV-Diskussion lief fast so ab wie immer

Wer zwischendurch ab und zu ins Erste geschaltet hatte, sah sich bestätigt: Langsam pegelt sich die Fernseh-Normalzeit wieder ein. Zwar gab es statt „Straße der Lieder“ eine stundenlange Informationssendung zum Krieg, aber schon die von Michel Friedman geleitete Diskussionsrunde verlief wunderbar vertraut, irgendwie beruhigend, fast heimelig: Man schrie sich an und schnitt sich das Wort ab. Wie immer.

DDP

Vorwurf an Christian Ströbele: „Sie mit ihrem moralischen Zeigefinger!“

Als der Grüne Hans-Christian Ströbele, dessen pazifistische Selbstgerechtigkeit mit dem Wachstum seiner Augenbrauen mühelos Schritt hält, den Einsatz deutscher Spürpanzer bei einem Giftangriff auf irakischem Territorium ausschloss, brach es aus Don F. Jordan heraus: „Sie mit ihrem moralischen Zeigefinger! Vielleicht kennen Sie wenigstens den juristischen Begriff „unterlassene Hilfeleistung“?!

Christoph Schlingensief zeigte FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt seine tief empfundene Verachtung und propagierte lautstark seine persönliche Wunderwaffe gegen Saddam Hussein: „Da reicht doch ein Pfefferspray!“

Als am Ende der verlängerten „Tagesthemen“ endlich das „Wort zum Sonntag“ an die Reihe kam, war der Couch-Potato bereit für die letzte Ölung vor dem Tiefschlaf: „Lasst Euch nicht vom Beten abbringen!“ sagt Paulus. „Mehr fällt mir auch nicht ein“, endete der Fernsehprediger.

Vielleicht beginnt so die Phase Nummer vier. Es ist der vierte Tag des Krieges.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Supissima