ja..Portrait und Liebeserklärung..an eine unbekannte Frau…eine Großmutter…an DIE GROSSMÜTTER…?
Portrait einer Großmutter. Eine Liebeserklärung.
Von Florence, Sommer 2002
Wenn ich an meine Großmutter denke, denke ich vielleicht gleichzeitig an den gütigsten Menschen, der mein Leben beglückt hat .Was bedeutet das?
Daß sie mich immer verwöhnte? Daß sie mir die scheußlichen Strümpfe – vor allem die Fersen, ein grausliges Wirrwar von vier Stricknadeln, die man im sogenannten „Handarbeitsunterricht“ abgeben mußte, zu Ende gestrickt hatte, wenn ich das verwirrte Gefädel wutentbrannt in eine Ecke des Zimmers geschmissen hatte?
Bedeutetes es auch, daß sie niemals mit mir „geschimpft“ hat?
Ja, solche Großmütter gibt es.
Ach, diese Großmutter. Wenn es an den Alptraum des Sonntagsmorgens ging!.
Denn sonntags, so war es früher üblich, wurde ein kleines Mädchen nicht nur von oben bis unten gewaschen, auch noch die Haare, mit all der Seife in den Augen , und das alles wurde mit einem meist hartgewordenen Handtuch abgerubbelt. Das Allerschlimmste aber war die frische Wäsche, die sonntags angezogen werden mußte. Und, um dem Graus noch das I-Tüpfelchen aufzusetzen, es mußte auch ein „Sonntagskleidchen“ angezogen werden.Dazu weiße Söckchen. Und schwarzgelackte Schuhe, die überall zwickten.
Das kleine Mädchen, nennen wir es Rosa, begann schon im voraus vorsichtshalber zu schreien. „Nein, nicht den Hals waschen, die Haut läuft doch sonst ein!“ schrie klein Rosa wie amSpieß und hielt sich mit beiden Händchen den Hals zu. Gleichzeitig tropfte das nasse Wasser aus den Haaren ins Gesicht, die Großmutter mit Engelsgeduld einshamponiert hatte und mit Wasser aus einer Kanne vom Schaum wieder befreit hatte. Entweder war das Wasser zu naß,oder zu heiß oder zu kalt. Denn in die kleine Badewanne wollte sich Rosa erst recht nicht setzen. Ihre Haare sollte wie Blumen aus einer Gießkanne begossen werden.Und sie wollte auch nicht baden.Weil Rosa dachte, sie würde dann ertrinken. Und das Wasser so zu heiß, auf jeden Fall zu naß war. So viel nasses und heißes Wasser wollte Rosa nicht auf ihrer Haut wissen. Dann schon eher der Waschlappen. Einer für’s Gesicht, mit dem man sich gleich auch das Gesicht trocken reiben konnte. Einen für die Arme. Und einen für die unteren Teile, und einen für die Füße.
Das kleine Badezimmer war naß und glitschig. Und die Großmutter mußte aufpassen,daß sie nicht ausrutschte. Sie hatte daher ein großes Badetuch auf die Fließen gelegt.
„Das ist aber doch mein Trockenhandtuch“, schrie Klein-Rosa.
„Ich habe noch ein schöneres, ein weicheres“, sagte die Großmutter. Und Rosa gab sich zufrieden.
Inzwischen hatte die Großmutter rasch Rosas Hals gewaschen.
„Schau, die Haut läuft doch gar nicht ein…“
Mißtrauisch betrachete Rosa an ihrem Hals herab.
Die Großmutter hatte ein flauschiges Badetuch um Rosa geschlungen.
„Das ist aber schön!“ entfuhr es Rosa ungewollt.
Großmutter hob Rosa flugs aus der Badewanne, in der Rosa wie eine Kämpferin stand.
Und setzte Rosa auf einen Stuhl, in einer Ecke des Badezimmers, er war noch trocken geblieben.
„Was muß ich denn heute anziehen?“ fauchte Rosa und ein beklommenes Weinen schwang in ihrem Kinderstimmchen..
„Auf jeden Fall frische Unterwäsche“,erklärte die Großmutter milde und wie nebenbei.
„Das kratzt doch alles. Ich hasse frische Unterwäsche!“ schrie Rosa wie auf Kommando.
„Ich habe eine Überraschung für Dich,wenn Du mit runter in die Wohnstube kommst,“ sagte die Großmutter und lächelte ein kleines konspiratives Lächeln.
Mmhh, Überraschung. Wenn die Großmutter das sagte..
Klein Rosa huschte in ihre patschnassen Badeschlappen aus Frottier und folgte der Großmutter die engen Stufen hinab in die Wohnstube.
Und während Rosa in ihrem Badetuch eingehüllt saß, hier und da einen Tropfen aus ihrem feuchten Haar aus ihrem Gesichtchen wegwischte wie eine lästige Fliege, klappte Großmutter das Bügelbrett auf und begann Rosas Unterwäsche zu bügeln.
„So wird sie schön weich und auch warm“, erklärte die Großmutter.
Unwillkürlich mußte Rosa lachen.
„Meine Mutter macht das nie. Noch nie!“
Rosa stand auf, hielt sich das Oberhemdchen an die Brust, das Badetuch war runtergerutscht und befahl ihrer Großmutter – :
„Das Hemd ist zu heiß, du mußt es aus dem Fenster hängen, dann wird es auch frischer!“
Inzwischen zog Rosa ohne zu murren, den Schlüpfer an, der die gerade richtige Temperatur hatte.
„Warum nicht..“ grinste die Großmutter.
Schob die Geranien von der Fensterbank , öffnete das kleine Fenster und hielt Rosas weißes Unterhemdchen aus dem Fenster.
„Du mußt es richtig schütteln!“ befahl Rosa fachmännisch.
Die Großmutter schüttelte das kleine Kinderhemdchen aus dem Fenster.
In diesem Augenblick kam Rosas Mutter,um Rosa für den Kirchgang abzuholen.
„Ja, was passiert denn hier?“ fragte sie mehr verblüfft, als entsetzt.
„Die Oma passt auf, daß mein Hemd mir auch richtig passt, daß es nicht zu warm und nicht zu kalt ist, und vor allem weich ist, Deine Hemdchen für mich sind ja immer so hart und rauh!“
Patsch, patsch, patsch! So schnell konnte sich Rosa gar nicht schützen,wie die Hände ihrer Mutter in Rosas Gesicht gefahren waren.
„Dir gebe ich, Hemden bügeln und kühlen, und aus dem Fenster hängen!“
Im Nu war Rosa angezogen. Rosa und ihre Großmutter warfen sich einen verschwörerischen Blick zu. „Darf ich nächsten Samstag wieder bei Dir schlafen, Oma?“ fragte Rosa.
„Natürlich. Deine Eltern gehen doch sicher wieder aus…dann kannst Du bei mir übernachten…2
„Du machst doch noch ne Prinzessin auf der Erbse aus ihr?!“ schalt Rosas Mutter mit ihrer eigenen Mutter.
„Na, und?“ gab Rosas Großmutter zurück.
„Und wenn Du nicht jetzt Deinen verlogenen Kirchgang vor Dir hättest, damit auch ja alle sehen,wie fromm Du bist, dann könnten wir jetzt gemütlich frühstücken.
„Au ja, frühstücken! Ich hab so Hunger!“ rief Rosa.
„Frische Eier“, locke die Großmutter, „eben aus dem Hühnerstall geholt…frisch gebackenes Brot……und die gute Erdbeermarmelade, die ich selbst gemacht habe, und dann der Schinken, der Onkel Klaus gestern mitgebracht hat….von von seinem Schwein, das er neulich geschlachtet hat…“
„Und die ersten Tomaten sind auch schon rot – !“ rief Rosa eifrig.
„Wir gehen einfach später in die Kirche! Muß doch nicht so früh sein. Da ist der liebe Gott doch auch noch müde…und hat vielleicht noch nicht gefrühstückt…?“
Rosas Mutter mußte lachen.
Na gut. Jetzt wurde erst einmal richtig gefrühstückt. Ein Sonntagsfrühstück.
Ach, Rosas Großmutter, sie war so großartig, immer: „Warum soll das Kind denn nicht etwas lernen, wenn es das Zeug dazu hat? Wir durften das früher nicht. Nur der Bruder. Weil das alles Schulgeld kostete. Warum soll sie in so einen piefigen Laden gehen, wo’s nach Seif‘ und Waschpulver riecht, wenn sie lieber Chemie studieren will? Dann weiß sie doch wenigstens wie das Zeug sich zusammensetzt oder?“ Oma hatte recht. Wie immer. Und so lebten sie viele und viele und viele Jahre zusammen, die Großmutter und ihre Enkelin. Und die Großmutter , ganz klar, bügelte auch noch die Hemdchen von Kindern und Kindeskindern. Großmütter, die echten, sie sind einfach so! Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute, glücklich, mit Rosen und Katzen und Kindern und Träumen…und..täglich-neuen-Plänen..