Psychologie
»Glück ist nicht wichtig«
Seit Jahrzehnten beobachtet der Psychiater George Vaillant das Leben von 268 Menschen. Mithilfe ihrer Biografien hofft er eine der wichtigsten Fragen überhaupt beantworten zu können: Was lässt ein Leben gelingen?
© Daniel Berehulak/Getty Images
Den größten Einfluss darauf, ob ein Leben gelingt, hat die grundsätzliche Beziehung zu anderen Menschen
Den größten Einfluss darauf, ob ein Leben gelingt, hat die grundsätzliche Beziehung zu anderen Menschen
ZEIT Wissen: Professor Vaillant, war John F. Kennedy ein glücklicher Mensch?
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George Vaillant: Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.
ZEIT Wissen: Aber Kennedy war doch einer der 268 Harvard-Absolventen, die für Ihre Studie untersucht wurden.
Vaillant: Das stimmt. Kennedy gehörte zu den Menschen, deren Leben wir seit den vierziger Jahren beobachten, um herauszubekommen, was ein Leben gelingen lässt. Doch die Daten werden anonym veröffentlicht, wenn es um einzelne Personen geht. Kennedy ist auch gar nicht so wichtig.
ZEIT Wissen: Warum nicht?
Vaillant: Weil es darum geht, was in der Summe herauskommt, also wenn man alle Probanden betrachtet.
ZEIT Wissen: Und was kommt heraus?
George Vaillant
George Vaillant
©
George Vaillant leitet seit 32 Jahren eine der längsten medizinischen Kohortenstudien der Geschichte
Vaillant: Den größten Einfluss darauf, ob ein Leben gelingt, hat Bindung. Und dabei geht es nicht unbedingt um die Bindung zum Lebenspartner, sondern eher um die grundsätzliche Beziehung zu anderen Menschen, also im Sinne einer altruistischen und empathischen Verbindung.
ZEIT Wissen: Was bedeutet das konkret?
Vaillant: Eine Ehe zwischen zwei narzisstischen Personen etwa hat damit nichts zu tun. Ist man aber umgeben von einfühlsamen Menschen und besitzt selbst die entsprechende Veranlagung, wird man auch empathischer. Das hat sich als wichtigster Faktor für ein erfolgreiches Leben herausgestellt.
ZEIT Wissen: Wann spricht man denn überhaupt von einem erfolgreichen Leben?
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Vaillant: Das ist eine ewige Streitfrage. Der eine hat eine erfüllte, glückliche und großartige Zeit und stirbt mit 40 Jahren. Ein anderer hat ein in Teilen langweiliges, verbittertes Leben, wird aber bei bester Gesundheit älter als 90 Jahre. In der Studie mussten wir uns für klare Kriterien entscheiden. Wir haben beschlossen, diejenigen Menschen als solche mit einem erfüllten Leben zu definieren, die möglichst viele Bedingungen erfüllen: die alt sind und dabei gleichzeitig psychisch und körperlich weitestgehend gesund und zufrieden mit sich selbst.
ZEIT Wissen: Haben diese Menschen in ihrem Leben nicht vielleicht einfach besonders viel Glück gehabt?
Vaillant: Vielleicht. Aber sie haben ebenso wie alle anderen schwierige Situationen erlebt. Jeder erleidet Schicksalsschläge in seinem Leben, das kann eine Trennung vom Lebenspartner sein oder der Verlust des Arbeitsplatzes, aber auch der unerwartete Tod der Eltern, mit denen man sich erst kurz zuvor gestritten hat. Entscheidend sind die Schutzmechanismen, also die Art und Weise, wie man unbewusst auf solche Situationen reagiert.
Übersicht zu diesem Artikel:
1. Seite 1 »Glück ist nicht wichtig«
2. Seite 2 „Je mehr man trinkt, desto mehr raucht man“
3. Seite 3 „Ich kenne die Person nicht im Alltag, aber ich kenne ihr Leben“
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Leser-Kommentare
Nur empfohlene Kommentare anzeigen
1.
* 12.07.2010 um 7:58 Uhr
* cycle12
1. Untersuchungsziel
Guten Morgen,
das Interview liest sich sehr angenehm, aber…
…mir ist schleierhaft, was das Ziel der Studie sein soll, was die Messgrößen sind; die Studie erscheint mir eher eine Art detaillierte wischi-waschi Informationssamlung zu sein.
Das hätte Herr Vaillant aus dem Professor rausquetschen können.
Grüße
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Interview ist ausreichend minhen
Das Ziel der Studie kann man dem Interview doch entnehmen. Es geht um die Alterung und das Finden von Faktoren, welche zu einem gemäß Definition erfolgreichen Leben führen.
Auch gibt es keinen Grund von Wischi-Waschi-Informationssammlung zu sprechen. Was im Interview an Methodik anklingt, lässt auf ein normales Standardvorgehen schließen, wie es in der psychologischen Forschung etabliert ist. Wenn Sie sich für die Messgrößen interessieren, können Sie doch Publikationen des Autors zu der Studie lesen: http://adultdev.bwh.harva…
Mir scheint Sie verlangen etwas viel von einem einfachen Interview.
2.
* 12.07.2010 um 9:29 Uhr
* minhen
2. Interview ist ausreichend
Das Ziel der Studie kann man dem Interview doch entnehmen. Es geht um die Alterung und das Finden von Faktoren, welche zu einem gemäß Definition erfolgreichen Leben führen.
Auch gibt es keinen Grund von Wischi-Waschi-Informationssammlung zu sprechen. Was im Interview an Methodik anklingt, lässt auf ein normales Standardvorgehen schließen, wie es in der psychologischen Forschung etabliert ist. Wenn Sie sich für die Messgrößen interessieren, können Sie doch Publikationen des Autors zu der Studie lesen: http://adultdev.bwh.harva…
Mir scheint Sie verlangen etwas viel von einem einfachen Interview.
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Antwort auf „Untersuchungsziel“
3.
* 12.07.2010 um 10:03 Uhr
* Infamia
3. Glück wird überbewertet
Glück ist doch immer nur ein sehr kurzer Moment im Leben. Viel wichtiger finde ich Zufriedenheit, was ein nachhaltigeres Gefühl als Glück ist. Glücksmomente sind kurz, intensiv und sicher auch wichtig. Aber wer glaubt, ein lebenlang ein glückliches Leben führen zu müssen, überfordert sich. Ich strebe nicht nach Glück, ich strebe nach Zufriedenheit. Und nehme Glücksmomente dankbar an, wenn sie sich auftun.
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4.
* 12.07.2010 um 10:47 Uhr
* de dicto
4. Überhaupt nicht aussagekräftig!
Problematisch scheint mir bei dieser Studie, so wie sie das Interview darstellt, vor allem die Definition von einem „erfolgreichen Leben“ zu sein. Abgesehen davon, dass „erfolgreich“ ein sehr relativer und auch subjektiver Begriff ist, schließt sie aus, dass Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen (ob physischer oder psychischer Natur) kein „erfolgreiches Leben“ haben können. Dies scheint in einem bizarren Gegensatz dazu zu stehen, dass gerade zwischenmenschliche Beziehungen für ein gutes Leben verantwortlich sein sollen. Dieser Widerspruch würde sich nur vermeiden lassen, wenn man behauptet, dass besagte Menschen unzureichende Bindungen zu anderen Menschen besitzen – völlig absurd!
Des Weiteren ist es kaum verwunderlich, dass Bildung (dieser Studie zufolge) so einen großen Einfluss auf ein „erfolgreiches Leben“ hat, wenn man nur Harvard-Absolventen untersucht.
So wie ich das sehe ist diese Studie viel zu sehr interessenorientiert und überhaupt nicht aussagekräftig!
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5.
* 12.07.2010 um 12:42 Uhr
* jeannotloup2
5. Hinter den Seichtgebieten der Glückssucher
Die Medien, viele Wissenschaftler, Philosophen, Psychologen und die unvermeidlichen Coacher beteiligen sich an einer beispiellosen Jagd nach den Ursachen und Wirkungen des Glücks oder was das so viel zitierte Glücklichsein bedeuten könnte. Da werden Symposien abgehalten und Forschungsaufträge vergeben, da schwafeln Berater und Esoteriker von der Macht und der Wichtigkeit des Glücks und drehen sich doch alle im Kreis.
Der Artikel zeigt eindrücklich, was es nach empirischen Erkenntnissen wirklich mit dem Glück auf sich hat, wie überbewertet die massenpsychologisch angezettelte Jagd auf das Phänomen „Glück“ bei klarer Sicht ist.
Wenn so viele Glückssucher und Glücksbringer unterwegs sind, dann liegt es nahe, dass in unserer Gesellschaft irgendetwas falsch läuft, dass die Sehnsucht nach Glück sich aus einer irrational genährten von fremd erfüllenden Prophezeiungen resultiert.
Gefährlich wird die Glückssuche, wenn sie beginnt, das Leben mit einer übergroßen Erwartungshaltung zu besetzen. Da stehen die unterschiedlichen esoterisch geprägten Methoden an erster Stelle, gleich gefolgt von der Heerschar der Lebensberater und Seelentrainer, die eine große Marktlücke entdeckt haben und diese als Goldgrube ausbeutet. Bei diesen Praktiken scheint es zumindest eine Gruppe zu geben, die immer dann „glücklich“ wird, wenn die Kasse klingelt. So taucht die Frage auf, ob Glück und materialistisches Verhalten nicht sehr eng beieinander liegen. Mit BOSS und Porsche nach Shangri La!
W. Neisser
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6.
* 12.07.2010 um 13:03 Uhr
* KasperKlatsche
6. Das ist mir alles viel zu kurz gesprungen!
Sicher können gute Beziehungen zu den Menschen des eigenen Umfeldes ggf. sehr erfüllend sein und das eigene Dasein in vielfältiger Weise bereichern.
Doch gehört zu einem erfüllten Leben auch eine geeignete Basis, auf der sich diese Kontakte leben und pflegen lassen und diese ist nun mal ein Stück weit wesentlich auch von materiellen Parametern beeinflusst.
Ich meine damit noch nicht einmal den, im aktuellen Zeitgeist scheints unumgänglichen, Kotau vor dem Materialismus, sondern allein eine gewisse Grundversorgung muss gegeben und nachhaltig gesichert sein, damit Leben auf breiter Ebene überhaupt gelingen kann. Ist dem nicht so, wird die permanente Sorge um die eigene Existenzsicherung stets das Gemüt umwölken, wenn nicht gar Schlimmeres zeitigen!
Nun sind dies sicher nicht Probleme, mit denen sich ein ehemaliger Harvard-Absolvent je wird herumschlageb müssen. Daher sind die Studien des Professors zwar ganz nett, keineswegs aber geeignet, um daraus valide Rückschlüsse auf allgemeine Grundlagen für ein gelingendes leben zu ziehen; Schon gar nicht einer breiteren Masse, quer über alle Schichten hinweg.
Den in den Raum gestellten Altrusismus, den muss man sich nämlich auch leisten können und dies ist ohne einen gewissen finanziellen Background, eine materielle Sicherheit der eigenen Lebensgrundlagen, nicht so einfach, wie es hier durch die Studie erscheinen mag!
Da käme nun ein bGE ins Spiel, welches in diesem Kontext eine gänzlich andere, positivere Basis schaffen würde :-)))
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7.
* 12.07.2010 um 15:01 Uhr
* Lucy Meineke
7. Ein völlig überholter Forschungsansatz!
Da ausschließlich Männer an der Studie teilnehmen, sollte auch konsequenterweise statt von „Menschen“ allgemein, der treffenderen Differenzierung halber auch durchweg von „Männern gesprochen werden. Aus den Verläufen ihrer Leben überhaupt allgemeingültige Schlüsse ziehen, ist aufgrund der neueren Hirnforschung schlichtweg falsch!!!
Es handelt sich also durchweg um eine männerspezifische Glücksforschungs-Studie, die allerdings offenbar eine Menge allgemeiner menschliche Binsenwahrheiten bestätigt, die meine Oma bereits wusste.
Das gleichmacherisch glattzureden, wie der 74-jährige Professor es tut, entspricht der Ideologie der 68er, dass Männer und Frauen völlig gleich seien (bes.populistisch propagiert von A.Schwarzer, „Der kleine Unterschied“, der wie man heute besser weiß, psychologisch und soziologisch ein sehr großer ist.)
Dabei wurde und wird – wie hier dokumentiert – immer noch GLEICHWERTIGKEIT und GLEICHARTIGKEIT in einen Topf geworfen, was z.B. politisch und nahezu auf allen sozialen Ebenen in der Realität BEIDEN Geschlechtern zugleich fatalerweise nicht gerecht wird.
Neueste Literaturverweise dazu sehr zu empfehlen:
Louann Brizendine (Neurobiologin, Prof. f.Neuropsychiatrie): Das männliche Gehirn, Warum Männer anders sind als Frauen, Hoffmann u. Campe, 2010
u.dies. „Das weibliche Gehirn“, TB Goldmann,2008, Spiegel-Bestseller „Das männliche Gehirn“