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Friedenspreis für Anselm Kiefer in der Paulskirche
Von Uwe Wittstock 20. Oktober 2008, 01:52 Uhr
Die Kunst kennt friedvollere Werke als das des Anselm Kiefer. Ist er also die richtige Wahl, wenn man nach fünf Dutzend Schriftstellern, Gelehrten und Philosophen den Friedenspreis des deutschen Buchhandels zum ersten Mal an einen bildenden Künstler vergibt? Betreibt Kiefer, der malend der Macht der Mythen nachspürt – auch der fortwirkenden Macht der von den Nazis missbrauchten Mythen – nicht letztlich die Wiederbelebung eines altgermanischen Finstermännertums auf Leinwänden im Cinemascop-Format? So rumorte es halblaut in politisch besonders korrekten Bezirken des Kulturbetriebs, seit der Stiftungsrat des Friedenspreises seine Entscheidung für Kiefer bekannt gab.
Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels sprach, als der Preis gestern in der Frankfurter Paulskirche verliehen wurde, jenes Rumoren sofort an. „Bilder“, meinte er, „deren Kraft ausreicht, um unsere Zeit beim Namen zu nennen, zeichnen kein Bild des Friedens“. Ja, wollten sie auch nur die „Hoffnung auf Verheißung“ beschwören, gelänge ihnen das „wohl nur um den Preis der Lüge“. Muss die Kunst nicht „mit den Zerrüttungsmalen, den Abgründen, dem noch nicht Humanisierten unseres Wesens konfrontieren“ um jene Einsichten zu schenken, „ohne die die Fähigkeit zum Frieden nicht zu haben ist?“
Werner Spies, die Eminenz der deutschen Kunstkritik, beschrieb in seiner Laudatio auf Kiefer so etwas wie einen Skandal. Der betraf allerdings nicht Kiefer, sondern den Triumph, den die gegenstandslose Malerei nach dem Zweiten Weltkrieg feierte. Man habe, sagte Spies, darin einen Siegeszug der Moderne sehen wollen, die das Verschwinden jedes Sujets als Befreiung der Kunst begriff. Doch hinter der Forderung nach Informell und Tabula Rasa in der Malerei habe nicht nur ästhetische Argumente gestanden: „Es ging um Eskapismus, um ein Sich-Lossagen von der europäischen Geschichte, die ins Desaster von Krieg und Ausrottung geführt hatte.“
„Es gab“, resümierte Spies, „nach 1945 kein Bild, kein nennenswertes Bild, das man dem Aufschrei ‚Guernica‘ aus dem Jahr 1937 zur Seite stellen könnte.“ Erst eine jüngere Generation von vor allem deutschen Künstlern habe ab den sechziger Jahren diesen Verzicht auf benennbare Inhalte ihrer Bilder nicht hinnehmen wollen. Es tauchte „das auf, was man den ikonographischen Imperativ der deutschen Malerei nennen darf. Den Aufruhr, den diese Werke damals hervorbrachten, war unerhört. Sie beleidigten Geschmack und Anstand. In gewissem Sinne setzten Beuys, Kiefer, Baselitz, Immendorff, Richter oder Lüpertz bei dieser unterbrochenen Tradition kritischer und schmerzender Bilder ein.“
„Ich denke in Bildern“, lautete der erste Satz von Kiefers Dankrede – und das war nicht nur die ebenso legitime wie gelassene Selbsteinschätzung eines großen Malers, sondern zugleich eine Warnung an all jene, die von ihm eine umfassende Selbstrechtfertigung nach den Maßstäben der Kunstkritik erwarteten. Auch wenn Kiefer ein Künstler mit literarischen Leidenschaften ist, auch wenn er, wie er von sich selbst sagt, um ein Haar Schriftsteller geworden wäre, ist Kiefers genuines Ausdrucks-Medium nicht die Sprache. Auch in der öffentlichen Rede bleibt er Künstler und zeigt seine Bilder-Visionen, um sie für sich sprechen zu lassen.
Kiefers Friedenspreisrede schlug folglich in einigen Passagen den Ton einer lyrischen Prosa an, war durchsetzt von Zitaten aus Gedichten von Ingeborg Bachmann, Paul Celan, jüdischer Mystiker. Was ihn andererseits nicht davon abhielt, intelligent auf Vorhaltungen zu entgegnen: Die Beschäftigung mit der Mythologie habe nach dem Krieg wegen des nationalsozialistischen Mythenmissbrauches lange unter pauschalem Verdacht gestanden und unterblieb. „Aber“, so Kiefer: „Ist es nicht gefährlicher, die Mythen gleichsam ins kollektiv Unbewusste zu versenken, statt an ihnen, für alle sichtbar, weiterzuarbeiten?“