Gestern Abend um 20 Uhr in der Ringbahn.
Die von West nach Ost.
Einstieg kurz nach WESTEND.
Du bist noch immer
unsittlich gutgelaunt.
Nach dem Abend „DADA“ in der Galerie WALLYWOODS,
der Galerie,
die Berlin-Weißensee beim Aufwachen hilft,
(weiter unten zwei Texte dazu,
die innerhalb kürzester Zeit rund 10.000 mal angeklickt und …vielleicht auch gelesen….
worden sind..)).
Also du steigst ein.
Du bist ja immer eine Fremde
unter Fremden,
in der S-Bahn, der U-Bahn, der Tram, dem Bus, auf dem Schiff.
Damit sind wir alle schon wieder eine communauté,
eine Gemeinschaft.
Normalerweise eine Gemeinschaft der sich voneinander
und gegeneinander Abschottenden,
in diesen öffentlichen Verkehrsmitteln,
jedenfalls in Berlin.
Doch die Einsteigende spürte es sofort,
es war anderss.
Dieses Mal.
Du steigst ja ein,
und dein Blick,
automatisch, taxierend, prüfend,
Bruchteil-von-Sekunden-Vorgang
sucht sich einen Sitzplatz.
Um 20 Uhr ist die Ringbahn noch gut besetzt.
Aber nicht überfüllt.
Die Art und Weise,
wie die Frau,
deren freien Sitzplatz neben ihr
du für dich okkupieren möchtest:
Die Art,
wie sie ihre Tasche vom bis zum Auftauchen
der Eingestiegenen freien Sitzplatz auf ihren Schoß reißt,
verströmt eine gewisse Aggressivität.
Sie blickt dabei nicht von ihrem Buch auf.
Ein fast-übliches „Tschuldigung“ murmelnd, und –
„Geht’s so?“
versuchst du,
deine eigenen zwei Taschen
irgendwie
s-bahn-gepäck-nicht-vorgesehen-mäßig irgendwie,
ohne die Lesende nicht noch mehr zu,
ja, um die Signale ihres Körpers richtig zu deuten.
Du setzt dich mehr in Blickrichtung des Gangs.
Dir direkt gegenüber sitzt ebenfalls eine Lesende.
Neben ihr ein freier Sitzplatz.
Und deine Gedanken denken,
es wäre angenehm die zwei Taschen auf den freien Sitz zu stellen,
statt sie zwischen den Füßen und Beinen zu balancieren.
Aber etwas in der Mimik des lesenden Gesichtes dir gegenüber,
links die lesende Frau ebenfalls,
nicht aufblickend,
veranlasst dich,
den Gedanken wieder fallen lassen.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist
in Wirklichkeit
weniger als 1 Sekunde verstrichen.
Etwa so:
Du steigst ein,
spürst sofort an der nonverbalen Kommunikation:
„Da iss ne irgendwie aggressive Stimmung drin“.
momenti, Telefon klingelt, 12 Uhr 50 –
Gleich weiter…
Wieder da, 12 uhr 58 –
Dein Blick fällt auf das Gesicht
einer Frau vor dir,
nicht lesend, am Fenster,
in der nächsten Reihe.
Sie blickt in den Raum.
Mit einem Gesichtsausdruck,
der dich spontan an deine Mutter denken lässt,
früher,
eine unausgeprochene Mißbilligung
auf dem Gesicht ausgebreitet.
Du ducktest dich,
wie vor einem bevorstehenden Angriff.
In dem Gesicht der Frau liegt zugleich etwas Lauerndes.
So kommt es dir vor.
Es sind alles bruchteil-von-Sekunden-Wahrnehmungen,
und zeitgleich registrieren deine Ohren
eine gewisse Unruhe.
Es ist lauter als üblich, irgendwie.
Außer wenn sich jemand aufspielt …
oder jemand aufspielt..
Und dann haben Ohren und
Augen geortet:
rechts, parallel zu dir,
auf der anderen Seite des Gangs,
die Sitzreihe,
sitzt am Fenster eine junge Frau
und telefoniert.
Sie hat zwei Ohrstöpsel im Ohr,
einen aufgeschlagenen Termin-Planer auf den Knien,
einen Stift in der rechten Hand,
und stimmt
offensichtlich sehr dringende Termine ab.
„Das ist doch hier kein Büro!“
registriert dein Ohr.
Aus welcher Richtung,
von welchem Sitzplatz aus
der Satz
wie ein Wurfgeschoß herüberzischt,
vermag dein Auge nicht schnell genug ausmachen.
Aber – das war das Stichwort!
Jetzt lässt die Frau dir gegenüber ihr Buch sinken,
und lässt wütend ab:
„Die ist so laut,
ich kann nicht mal mein Buch lesen!
Ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren!“
Eine junge Frau aus einer Sitzreihe weiter vorne,
dreht sich um und wirft durch den Raum:
„Das ist ja auch keine Bibliothek hier!“
„Trotzdem darf die nicht so laut telefonieren!“
Das ist die Frau von am Fenster,
in der Sitzreihe direkt vor unserer,
die bis gerade noch so
mißbilligend-lauernd blickte,
kaum noch an sich halten könnend.
Jetzt explodiert sie.
„Diese Termine gehn uns doch nichts an.
Seit Ewigkeiten brüllt die in ihr Händy!“
Und sie äfft nacht:
„Ja..Ja??? Ja..! Ja. Gut. Sehr gut.
Würde mir auch passen!
Kann ich mich drauf verlassen? Ich muß mich drauf verlassen können!“
Jetzt setzt die junge Frau nach,
die der sich gestört fühlenden Lesenden
an den Kopf geknallt hatte,
es ei ja auch keine Bibliothek hier – :
„Das macht mich jetzt aber echt an!
So eine Kleinlichkeit!
So eine …Hinterfotzigkeit!“
Ein etwas älterer Mann, im Sichtquartier der Eingestiegenen,
lächelt, und sagt laut-hörbar:
„Wie kurzweilig doch eine S-Bahn-Fahrt
mit der langweiligen Ringbahn sein kann!“
Die Frau von am Fenster,
vor unserer Sitzreihe,
„findet das ganz und gar nicht witzig!
Sie fühle sich „zutiefst in ihrer Privatsphäre gestört, verletzt!“
„Eine S-Bahn- ist keine Privatsphäre!“
erwidert die junge Frau katzbürstig.<
Der Eingestiegenen direkt-Gegenüber, die bis eben noch Lesende,
brüllt jetzt rüber zur Telefonierenden –
„REDEN SIE DOCH MAL LEISER!“
Die Eingestiegene sagt,
fröhlich, staunend, animiert:
„Ja, aber, die Frau kann das doch alles gar nicht hören!
Wegen der Ohrstöpfel,
und weil sie telefoniert…!“
Jetzt reckt sich ein junges Mädchen herüber zur Eingestiegenen:
„Unter dieser Decke vor meinen Knien
verbirgt sich eine Bongo-Trommel,
soll ich mal..?“
Erstmals Lachen auf einer Seite,
zugespitzter Zorn auf der anderen:
Die Frau direkt gegenüber der Eingestiegenen
wird zur Wortführerin des Angriffs,
gegen die Telefonierende,
unterstützt von der Frau hinter ihr,
die nicht las,
ihre erbitterte Gegnerin die junge Frau, von der anderes Gangseite,
etwas weiter vorne,
die die FREIHEIT verteidigt,
und die Toleranz.
Es wird jetzt mit Argumenten geworfen, wie
„Kinder sind lauter!“
„Sind Sie kinderfeindlich?!“
„Ich hab auch Kinder!“
„Aber sicher schon größere!“
„So alt bin ich nun auch wieder nicht!“
„Hier doch kein Stasi-Staat-mehr,
der zu bestimmen hat,
wie laut und wie leise jemand
sprechen darf.“
„Es ist eine S-Bahn!“
Eine neue junge Frau steigt ein.
„Was ist denn hier los..?“
fragt sie ungläubig-zwischen-Lächeln und Verunsicherung.
Ist das hier ein Vereinsausflug?
„Nein, die Frau dort am Fenster scheint
manchen zu laut und zu lange..
zu telefonieren…!“
Die ganz-neu-Eingestiegene beugt sich zu
der Frau am Fenster,
die Telefonierende.
Die zieht erschrocken ihre Stöpsel aus den Ohr.
„Was ist denn..?“
Die ganz-Neue klärt sie lächelnd auf:
Sie sei der Anlass über
einen wahren Klassenkampf hier in der S-BAHn.
Die Telefonierende errötet,
„das wollte ich nicht, das wußte ich nicht…
steht auf,
puterrot im Gesicht,
entschuldigt sich in den Raum,
„Es geht um Examenstermine..und Vorbereitungen….,
ich wußte nicht, daß…“
und sie steigt wie flüchtend aus.
„Eigentlich sollten wir jetzt mal anfangen,
e-mail-Adressen auszutauschen“,
sagen die,
die für die FREIHEIT der Ex-Telefonierenden-Geflohenen sind.
ja, und das machten sie dann auch.
Stiegen erst mal aus.
Ja, mei, war das eine kurzweilige S-BAHN-Fahrt…