Forschung: Geistblitz oder der „Aha!“ – Effekt

..Mit Druck funktioniert’s nicht.
Gefunden im HANDELSBLATT-online, vo 23.3.08
bei der Recherche zu einem „ganz anderen Thema“, wie das im Internet ja so oft passiert und du auf diese Weise…von jetzt auf gleich..so bereichert wirst…
HANDELSBLATT, Sonntag, 23. März 2008, 09:04 Uhr
Gehirnforschung

Die Anatomie der Geistesblitze
Von Ulrich Kraft

Zum ersten Mal untersuchen Forscher, was im Gehirn passiert, wenn der Funke zum Aha-Erlebnis zündet. Noch sind sie sich uneinig, wie diese plötzlichen Einfälle zustande kommen. Eines allerdings scheint klar: Ein Geistesblitz auf Kommando – das funktioniert nicht.

Warum uns manchmal plötzlich ein Licht aufgeht, ist bisher wissenschaftlich noch reichlich unklar. Foto: dpa
DÜSSELDORF. Splitterfasernackt lief Archimedes der Legende zufolge durch die Stadt, vor Begeisterung sein berühmtes „Heureka!“ – „Ich hab’s!“ – rufend. Was er hatte, war die Lösung einer Kopfnuss, die sein Freund Hieron II. ihn zu knacken bat. Der argwöhnische Tyrann von Syrakus wollte wissen, ob eine Krone, die er den Göttern zu Ehren hatte anfertigen lassen, wirklich aus reinem Gold bestand.

Nach langem erfolglosem Brüten nahm Archimedes beim Bade eine geistige Auszeit. Der Mathematiker stieg in die randvolle Wanne, erkannte, dass genau die Menge Wasser überlief, die sein Körpervolumen einnahm, und hatte das ersehnte Aha-Erlebnis. Wenn die Krone mehr Flüssigkeit verdrängte als ein gleich schwerer Goldbarren, musste sie ein geringeres spezifisches Gewicht besitzen und folglich aus einer minderwertigen Legierung hergestellt worden sein. Der Test zeigte: Hierons Misstrauen war begründet. Der Goldschmied hatte in der Tat unedles Metall beigemischt und wurde dafür mit dem Tode bestraft.

Über 2 200 Jahre liegt das jetzt zurück. Unzählige Künstler, Forscher und Erfinder haben seitdem von derartigen Denkdurchbrüchen berichtet. Wie es sich anfühlt, wenn einem schlagartig ein Licht aufgeht, erfahren nicht nur große Köpfe wie der nackte Archimedes. Jeder Mensch erlebt solche Augenblicke als höchst erhebend. Doch was dabei im Gehirn vor sich geht, liegt weitgehend im Dunkeln. Erstaunlicherweise, meint Andreas Engel. „Aha-Erlebnisse sind ein charakteristischer und essenzieller Bestandteil der menschlichen Intelligenz, und trotzdem wissen wir über die dahinter stehenden kognitiven Prozesse und neuronalen Mechanismen so gut wie nichts“, sagt der Neurophysiologe von der Uniklinik in Hamburg. Engel verweist allerdings darauf, dass das Sujet auch schwierig zu erforschen sei. „Einen Heureka-Moment kann man ja nicht auf Kommando herbeiführen.“

Vielleicht ist das der Grund, warum die Hirnforschung das Feld bislang den Psychologen überließ. Die haben einige Merkmale ausgemacht, die Aha-Erlebnisse von anderen Varianten des Problemlösens unterscheiden. So geht der Erleuchtung oft das Gefühl voraus, in einer mentalen Sackgasse festzustecken. Die Erkenntnis schlägt dann urplötzlich ein, nach subjektivem Empfinden wie aus dem Nichts. Und in der Regel ist es später unmöglich, die Denkschritte auf dem Weg zur Lösung nachzuvollziehen.

Doch damit endet die wissenschaftliche Einigkeit. Manche Experten glauben, dass Geistesblitze sich mit Vorgängen erklären lassen, die auch bei unspektakuläreren Problemlösungsstrategien zum Einsatz kommen – etwa dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Andere sehen dahinter einen ganz speziellen kognitiven Prozess.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Fokussierung schadet nur

Joydeep Bhattacharya gehört zu dieser Fraktion. Gemeinsam mit seiner Wiener Kollegin Simone Sandkühler hat der Psychologe von der Goldsmiths University of London vor kurzem eine der ersten Studien überhaupt veröffentlicht, die die Anatomie des Aha-Erlebnisses genauer untersucht – durch Messung der Hirnströme. 21 Studenten dienten dabei als kreative Versuchskaninchen. Zu lösen bekamen sie verbale Assoziationsaufgaben nach folgendem Muster: Drei Begriffe wurden vorgegeben, einen vierten, der die drei sinnvoll verbindet, galt es zu finden. Beispiel: Bei Decke, Fluss, Wanze wäre Bett eine mögliche Antwort.

Immer wieder gerieten die Versuchsteilnehmer in eine geistige Sackgasse. Per Knopfdruck konnten sie sich dann Hilfe holen in Form des Anfangsbuchstabens eines möglichen Lösungswortes. Die EEG-Messungen offenbarten, dass die mentalen Blocks mit ausgeprägten Gamma-Oszillationen einhergingen. „Gamma-Wellen treten auf, wenn man besonders aufmerksam ist, sich auf eine Aufgabe konzentriert und versucht, Dinge aus dem Gedächtnis abzurufen“, erklärt Andreas Engel.

Zu viel davon schien Joydeep Bhatttacharyas Probanden zu schaden: Je ausgeprägter der Gamma-Rhythmus in ihren Denkorganen war, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit Hilfe des Hinweises den fehlenden Begriff fanden. „Übermäßige Aufmerksamkeit bewirkt eine geistige Fixierung“, meint der Forscher. „Das Gehirn ist dann nicht in einem empfangsbereiten Zustand.“

Andreas Engel sieht das ähnlich. „Fokussierte Aufmerksamkeit führt zu einer Verengung der Situation“, sagt er. Man konzentriere sich auf wenige Lösungsmöglichkeiten und schließe andere Möglichkeiten aus. „Die Gedanken bewegen sich in ausgetretenen Pfaden, aus denen sie nicht herauskommen“, so der Hamburger Neurowissenschaftler.

Lesen Sie weiter auf Seite 3: Das Denkorgan arbeitet im Stillen weiter

Genau das ist bei mentalen Blockaden aber nötig. Um die geistige Sackgasse zu verlassen, muss das Gehirn einen Schritt zurückgehen, die verfügbaren Informationen neu ordnen und daraus einen alternativen Lösungsansatz entwickeln. Restrukturierung nennen Fachleute diese Stufe im Problemlösevorgang, die im Idealfall zum Heureka-Moment führt.

Offenbar begünstigt ein bestimmtes Hirnstrommuster diesen Prozess. „Freiwillige, die ein hohes Level an Alpha-Rhythmen hatten und weniger Gamma, konnten den Hinweis sehr viel eher erfolgreich nutzen und damit ein Lösungswort finden“, berichtet Bhattacharya. Diese langsamen Alpha-Wellen markieren den entspannten Wachzustand: Statt konkrete Informationen zu verarbeiten, schweifen die Gedanken eher ziellos umher. Die Ergebnisse würden nahelegen, so der Londoner Forscher, „dass es besser ist, Probleme mit offenem Geist anzugehen, anstatt sich zu sehr darauf zu konzentrieren“.

Auch hier gibt Andreas Engel dem Kollegen recht. „Man sollte dem Gehirn öfter mal den Job überlassen, allein nach Lösungen zu suchen – denn die Chancen stehen durchaus gut, dass es eine findet.“ Wie so viele Menschen hat Engel öfter Namensblockaden. Dann zermartert er sich erst den Kopf, gibt irgendwann auf – und drei Minuten später fällt ihm der Name ein.

Solche Beispiele würden zeigen, sagt Engel, dass das Denkorgan im Stillen an Problemen weiterarbeitet, die sein Besitzer scheinbar ad acta gelegt hat. Forscher vermuten, dass sich bereits vorhandene assoziative Verbindungen zwischen Ideen und Vorstellungen abschwächen, durch andere Assoziationen überlagert und abgewandelt werden. Diese Restrukturierung gewährt neue Ansichten auf das Problem – und möglicherweise auch den entscheidenden Einblick in die Zusammenhänge, der dann auf den richtigen Lösungsweg führt.

Waren sich Joydeep Bhattacharyas Studenten bewusst, dass sie ihre Gedanken aktiv umsortiert hatten, stellte sich das „Heureka“-Erlebnis aber nur selten ein. „Personen erleben das Aha-Gefühl, wenn sie nicht bewusst darauf achten, was sie denken“, erklärt der Forscher. Prinzipiell rät er daher allen, die eine Kopfnuss zu knacken haben, es mit Archimedes zu halten und Entspannung zu suchen. Denn im Alpha-Zustand könne man, sagt Bhattacharya, die unbewussten Informationsverarbeitungsfähigkeiten des Gehirns einsetzen.

Eines scheint eindeutig, so wenig man auch bislang über Geistesblitze weiß: Mit Druck können sie offenbar wenig anfangen.