Quelle: Kölnische Rundschau, online.
Neue Frankfurter Studie:
Mehr Männer als Frauen: vor allem ältere Männer.
VON BIRGIT ECKES UND SANDRA TRAUNER, 06.09.07, 21:19h
Deutlich mehr Männer als Frauen begehen Selbstmord. Vor allem ältere Männer sind in unserer Gesellschaft am meisten gefährdet, ergab eine Frankfurter Studie.
Rund 11 000 Menschen nehmen sich pro Jahr in Deutschland das Leben. Die Gründe sind vielfältig: Körperliche, teils unheilbare Krankheiten wie HIV-Infektionen oder Krebserkrankungen zum Beispiel. Doch mehr als 90 Prozent der Suizidopfer litten an psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Suchterkrankungen wie Alkohol- und Suchtmittelmissbrauch oder Schizophrenie, so die Frankfurter Psychiaterin Barbara Schneider.
Vor dem Weltsuizidpräventionstag am 10. September präsentierten Experten des Uniklinikums Frankfurt am Main aktuelle Entwicklungen und Möglichkeiten der Suizidvorbeugung. Denn soziale Faktoren wie Unzufriedenheit mit der Lebenssituation, Einsamkeit oder die Unfähigkeit, mit Krisen zurechtzukommen, scheinen mit zunehmendem Alter eine gewichtigere Rolle für einen Selbstmord zu spielen, und in fast allen Ländern steigt das Suizidrisiko mit höherem Lebensalter. „Ältere Menschen verüben durch Medikamenten- oder Nahrungsverweigerung sogar häufig eine Art passiver Selbsttötung,“ hat Prof. Martin Teising von der Fachhochschule Frankfurt am Main beobachtet.
Ältere Männer sind in unserer Gesellschaft am meisten gefährdet, sich das Leben zu nehmen; bei ihnen beträgt die Suizidrate 18,6 je 100 000. Und je älter sie werden, desto höher steigt diese Quote an: bei den Über-90-Jährigen auf 90 Selbstmorde pro 100 000 Männer, während es bei 30-Jährigen nur 20 sind. Bei Frauen steigt die Suizidrate im Alter weit weniger stark an.
Woran liegt das? „Suizidale Krisen werden durch Kränkungen ausgelöst, die das Selbstwertgefühl verletzen“, so Prof. Teising. Alterstypische Kränkungen seien zum Beispiel das Gefühl, ausgeliefert oder ausgeschlossen zu sein. Das würden zwar auch alte Frauen empfinden, gibt Teising zu, aber Männer hätten „ein höheres Kränkungspotenzial“ und seien darauf geeicht, „Konflikte heldenhaft und allein zu lösen“, statt Hilfe zu suchen oder anzunehmen. Zudem scheinen Männer im Alter meist schlechter sozial vernetzt zu sein als Frauen, vor allem dann, wenn sie ihre Partnerin verlieren und allein dastehen.
Um die Zahl der Suizide in Deutschland zu senken, bedarf es eines ganzen Bündels an Maßnahmen: „Höhere Zäune an Brücken reichen nicht“, sagt Jochen Gensichen, der das Pilotprojekt PRoMPT leitet (siehe Kasten). Die wichtigste Empfehlung der Experten lautet, psychische Krankheiten zu behandeln. Die meisten Suizide und Suizidversuche entstünden „aus einer schweren seelischen Krise heraus“, sagt Prof. Johannes Pantel, stellvertretender Direktor der Frankfurter Psychiatrie.
Aber wieso sind manche Menschen gefeit gegen suizidale Gedanken? Pantel nennt als wichtigste Schutzfaktoren eine stabile Persönlichkeit und viele soziale Kontakte. Gibt es dieses Umfeld, könne viel aufgefangen werden. Doch oft sei die erste Reaktion die Abwehr, Selbstmorde würden zu Unrecht als schicksalhaft und damit als unausweichlich angesehen, kritisiert Pantel. „Dabei können in den meisten Fällen Hilfsangebote wirklich etwas bewirken.“
Vor übertriebener Ängstlichkeit im Umgang mit selbstmordgefährdeten Menschen warnt auch Prof. Teising: „Keiner nimmt sich das Leben, weil er gefragt wird, ob er sich umbringen will.“