BERLINER TAGUNG: Wege der Kulturforschung

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Wege der Kulturforschung 2

Pfropfen, Impfen, Transplantieren

L’arc, Romainmôtier 9.8.-12.8. 2007
Organisiert von Veronika Sellier (Migros-Kulturprozent)
Und Uwe Wirth (Universität Gießen)

Versetzen, Einfügen, Einwachsen – das sind die Umschreibungen der
Aufpfropfung als einer Agrartechnik, mit der seit der Antike im Obst-
und Weinbau Pflanzen veredelt werden. Dabei ist die Aufpfropfung nicht
nur ein Verfahren, um durch eine nicht-sexuelle Form der künstlichen
Fortpflanzung Pflanzen zu hybridisieren und damit eine quantitative und
qualitative Steigerung der Erträge zu erreichen, sondern das Pfropfen
hatte auch immer schon einen spielerischen, einen experimentellen
Charakter – und tritt somit als eine Form biologischer bricolage in
Erscheinung.

Zugleich bringt die Kulturtechnik des Pfropfens einen Begriff der
Schnittstelle ins Spiel, der ein weites Feld kulturwissenschaftlicher
und medientechnischer Implikationen eröffnet. Die Schnittstelle steht,
um es sehr allgemein zu formulieren, für die Notwendigkeit, ein
‚Dazwischen‘ (Debray) zu organisieren, nämlich zwischen dem im Boden
wurzelnden Stamm und dem Pfropfreiser, der paßgenau eingefügt werden
muß, damit Stamm und Pfropfreis miteinander verwachsen können.

Eine der zentralen Fragen der Tagungen Pfropfen, Impfen, Transplantieren
ist nun, wie diese Organisation des Dazwischen im Rahmen der
verschiedenen Diskurse, in denen die Aufpfropfung als Metapher
auftaucht, beschrieben wird und in welcher Form das Pfropfen, das
Impfen, das Transplantieren als Figuren des Wissens in Dienst genommen
werden. So behauptet etwa Derrida in seinem Aufsatz „Signatur Ereignis
Kontext“, daß das Zitieren als Pfropfung, als greffe citationelle gefaßt
werden muß, eine These, die Derrida in La Dissémination ganz allgemein
aufs Schreiben ausdehnt, wenn er behauptet: „Écrire veut dire greffer.
C´est le même mot“. Dies gilt sowohl für einfache Formen des
Abschreibens als auch für komplexe Formen des verknüpfenden
Zusammenschreibens. So verwendet Gérard Genette den Ausdruck greffe in
Palimpsestes als Metapher für intertextuelle Überlagerungen, wobei der
französische Ausdruck greffer nicht nur eine Transplantation im
botanischen, sondern auch im chirurgischen Sinne meint.

Damit eröffnen sich zum einen mannigfaltige Anknüpfungsmöglichkeiten an
die Medizin und die Biologie – angefangen mit der Merkwürdigkeit, daß
der Ausdruck ‚Impfen‘ ursprünglich ein Synonym fürs Pfropfen ist. Zum
anderen läßt sich die Aufpfropfung als Modell der Arbeit in und mit
textuellen Einheiten auch auf den „Prozeß der wissenschaftlichen
Aktivität als einen Prozeß der Erzeugung, Verschiebung und Überlagerung
von Spuren“ übertragen (Rheinberger), nämlich als experimentelles Spiel,
in dessen Verlauf es zu ständigen Verschiebungen und Verlagerungen der
Grenzen eines Experimentalsystems kommt, sobald es auf ein anderes
Experimentalsystem trifft.

Freilich gibt es noch ganz andere Bereiche – etwa interkulturelle oder
intermediale, aber auch medizinhistorische und religionsgeschichtliche
Zusammenhänge – in denen Pfropfen, Impfen, Transplantieren als Figuren
der epistemischen und poetischen Grenzerweiterung, oder gar der
Grenzverletzung ins Spiel kommen – Bereiche, die es auf der Tagung
Pfropfen, Impfen, Transplantieren zu erkunden gilt.

PROGRAMM

Donnerstag, 9.8.2007

16:30 Uhr
Uwe Wirth (Uni Giessen)
Kultur als Pfropfung: Vorüberlegungen zu einer allgemeinen Greffologie

17:30 Uhr
Cornelia Zumbusch (Uni München)
Innovation oder Kontamination? Die Impfmetapher als Kreuzung zwischen
Gartenbau und Medizin

20:30 Uhr
Reinhardt Stumm (Basel)
Pfropfen Praktisch

Freitag, 10.8.2007

9:30 Uhr
Hans Jörg Rheinberger (MPIWG, Berlin)
Pfropfen in Experimentalsystemen

10:45 Uhr
Vincent Barras (Confignon)
Transplantationen

12:00 Uhr
Emanuel Alloa (Paris)
Fremdkörper. Fragmente einer Theorie des Eindringlings.

15:00 Uhr
Sylvia Sasse (HU, Berlin)
Modelle der Hybridisierung: Mičurin und Bachtin

16:15 Uhr
Peter Berz (Berlin)
Ort oder Herkunft? Hans Spemann okuliert Augen.

20:30 Uhr
Helmut Höge (TAZ, Berlin)
Reflexionen zum Tage

Samstag, 11.8.2007

9:30 Uhr
Falko Schmieder (ZfL, Berlin)
>Schnittkulturen<. Zur Begriffsgeschichte der Denkfigur der Pfropfung. 10:45 Uhr
Cornelia Vismann (MPIRG, Frankfurt)
Kaiser Justinian, Kultivierer des Textes

12:00 Uhr
Bettine Menke (Uni Erfurt)
Gepfropfte Rede

15:00 Uhr
Davide Giuriato (Uni Basel)
Übersetzen als Pfropfen: Schleiermacher und Benjamin

16:15 Uhr
Juliane Vogel (Uni Konstanz)
Thingum. Schneiden und Kleben in Texten der Moderne.

17:30 Uhr
Barbara Wittmann (MPIWG, Berlin)
Basteln, Pfropfen, Übermalen. Zur Produktivität unreiner Techniken in
der Kunst der Moderne

20:30 Uhr
Wolfram Putz (Graftlab Berlin)
Pfropf am Bau

Sonnntag, 12.8.2007

9:30 Uhr
Heide Volkening (Uni München)
Gepfropfte Mode

10:45 Uhr
Eckhard Schumacher (Uni München)
Gepfropfte Musik

Kontakt:
Uwe Wirth
Justus-Liebig-Universität Gießen
FB 05 – Sprache, Literatur, Kultur
Otto-Behaghel-Straße 10, Haus G
35394 Gießen
uwe.wirth@germanistik.uni-giessen.de
0641/99-31009/-30009/-29009
http://www.uni-giessen.de/germanistik/

***
Mit freundlichen Grüßen
S.Hetzer

Susanne Hetzer

Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
Schützenstr. 18, R. 333
10117 Berlin

Fon: 0049/30/20192-188
Fax: 0049/30/20192-154
http://www.zfl.gwz-berlin.de/

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