ja…! Treffende Zustandsbeschreibung! der HNA.de (Kassel)
Tristesse am Bahnhof Zoo
Am einstigen Knotenpunkt West-Berlins halten nur noch Regionalzüge – und die Wirtschaft lahmt
Von Sylvia Griffin
Korrekt heißt er „Zoologischer Garten“. So wird er im Zug auch angesagt. Aber wer hier aus- oder einsteigt, kennt ihn als Bahnhof Zoo.
Wer jetzt überhaupt noch aus- oder einsteigt. Die Bahnhofshalle, früher Inbegriff der Betriebsamkeit, ist fast leer. Wenige Reisende ziehen ihre Trolley-Koffer hinter sich her. Die Imbissstände, einst in drei Reihen dicht umlagert, können die Kunden an einer Hand abzählen. Die Anschlagtafel vermeldet bescheidene Ziele: Nauen, Erkner, Falkensee. Berliner Umland. Außerdem Cottbus, Leipzig, Magdeburg – keine Weltreisen.
Prag, Kopenhagen, Rom: Das war einmal. Dafür ist jetzt der neue, monumentale Hauptbahnhof (siehe Hintergrund) nordöstlich von hier zuständig. Der ist gigantisch, hauptstädtisch, imposant. Und schlagartig wird klar, dass dieser Bahnhof Zoo immer nur ein überforderter Regionalbahnhof war.
Er erlebt jetzt seine zweite Metamorphose. 1961 wurde er nach dem Mauerbau über Nacht zum einzigen verbliebenen Fernbahnhof West-Berlins. Damals war er ein schmuddeliger Ort ohne den Duft der großen, weiten Welt. Das einzig Großstädtische war die Drogen- und Stricherszene, die sich hier nach und nach ansiedelte. Die Jebenstraße, Abzweig von der Hauptschlagader Hardenbergstraße, war ihr bevorzugtes Quartier. Heroinsüchtige setzten sich den Schuss in einer der stinkenden Bahnhofstoiletten. Prostituierte im Kindesalter boten sich an.
Die Illustriertenserie, das Buch, der Film über die „Kinder vom Bahnhof Zoo“ änderten all das. Berlin schämte sich seiner miesen Visitenkarte, die hier internationalem Publikum offeriert wurde. Polizei und Wachpersonal sorgten für die Verdrängung der unliebsamen Erscheinungen. Und zur 750-Jahr-Feier 1987 wurde mächtig renoviert. Hell und freundlich wurde der Bahnhof, bot – in bescheidenem Maße – Shoppingmöglichkeiten, Reisebedarf und Gastronomie.
Der geht es jetzt schlecht. Seit vor einem halben Jahr der Hauptbahnhof dem „Zoo“ den Rang ablief, haben die „Spree-Terrassen“ zugemacht. Was nur konsequent ist, nannten sie sich doch „Intercity-Restaurant“. Intercity-Züge und ICE halten hier nicht mehr.
Das Café gleich neben dem Ausgang zum Hardenbergplatz ist gähnend leer. „Es geht so“, sagt die Bedienung zögernd über die Geschäfte. „Früher war mehr los.“ Das kann die Apothekerin in der Bahnhofshalle nur bestätigen. 100 bis 200 Kunden weniger am Tag verlangen hier nach Medikamenten. „Wir haben das Personal reduziert.“
Nebenan im Presseshop hat man das Angebot reduziert. Weniger internationale Tageszeitungen. Die englischsprachigen Taschenbücher benötigen nur noch einen einzigen Ständer ganz hinten in der Ecke. Und der Andrang früherer Zeiten ist Geschichte.
Der schicke Krawattenladen ist einem Billiganbieter für Schmuck gewichen. An manchen verschlossenen Türen heißt es optimistisch: „Wir bauen um“. Stimmt das? Die dicke Blondine im Souvenirgeschäft zuckt mit den Schultern. „Wees ick nich.“ Sie kommt über die Runden. Manche Touristen machen extra einen Abstecher vom nahen Kurfürstendamm zum Bahnhof Zoo.
Die Unterführung an der Hardenbergstraße ist düster und schmutzig wie eh und je. Die bevorzugte Droge der hier Herumstehenden scheint Alkohol zu sein. Billiges Bier vom Discounter. Das Amerika-Haus gleich nebenan ist geschlossen und sieht verwahrlost aus. Ein „West-Berlin-Museum“ soll hier entstehen, hat die Bezirksversammlung beschlossen. Das bisschen Aufwertung könnte dem Standort gut tun.
vom: 28.12.2006