Artur Brauner hat es geschafft. Mit „Der letzte Zug“ ist ihm gelungen, was die Film-Unterhaltungs-Industrie zunehmend verharmlost hatte: ein Dokument der deutschen Nazi-Mord-Vergangenheit: Der Holocaust.
Hier ein bemerkenswerter Text aus der welt-online:
Film
Artur Brauner zurück im Partisanen-Wald
Der legendäre Produzent ist seit fast 60 Jahren im Filmgeschäft. Am Donnerstag kommt sein Holocaust-Drama „Der letzte Zug“ ins Kino. Damit schließt sich für den mittlerweile 88 Jahre alten Brauner ein Kreis.
Von Hanns-Georg Rodek
Im Todeswaggon gefangen: Sibel Kekilli (r.) in „Der letzte Zug“ Foto: Concorde/PA
Ab dem 4. Januar werden Dani Levy und Helge Schneider ihr Bestes tun, um Adolf Hitler in „Mein Führer“ der Lächerlichkeit preiszugeben. Ihr Kinofilm kommt zwei Jahre nach Bruno Ganz‘ vermenscheltem Unmenschen aus dem „Untergang“ und neun Jahre nach Roberto Benignis KZ-Faxen von „Das Leben ist schön“ und 13 Jahre, nachdem „Schindlers Liste“ das Mitgefühl in einem NS-Kriegsgewinnler entdeckte.
Ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust ist die dominierende „Nacht- und Nebel“-Perspektive abgelöst worden; man sucht die Komödie in der Tragödie und schildert, wie das große Unabwendliche von glücklichen Einzeln abgewendet wird. Und nun kommt am Donnerstag „Der letzte Zug“ ins Kino und inszeniert den Transport der letzten Berliner Juden nach Auschwitz so, wie „man“ dies heute nicht mehr erzählt: ungebrochen, ungeschönt, erbarmungslos.
Das hat sehr viel mit der Person des „Letzte Zug“-Produzenten zu tun, dem letzten Produzenten, der diese Geschichten nicht mit Gewinnerzielungsabsicht verfilmt oder aus dem Verpflichtungsgefühl des Nachgeborenen. Artur Brauner ist nun 88, und seit einigen Jahren hat er das Unterhaltungskino hinter sich gelassen, die Freddy- und Mabuse- und Karl-May-Filme, von denen er über 260 aufs Fließband setzte, und sich einer Art Wiederbelebung der Toten mit den Mitteln des Kinos verschrieben.
Am Sonntagabend bei der Berliner Premiere des „Letzten Zuges“ hat er eine Rede gehalten, wie sie noch keine Premiere zu hören bekam, von seinen Albträumen, in denen er sich selbst im Viehwaggon befand oder vor der Erschießung stand: „Ich beschloss, dass ich diejenigen Opfer, die Gott nicht beachtete und die irgendwo in den Wäldern verscharrt, in den Gasöfen verbrannt, an den Mauern erschossen wurden oder in den Ghettos verhungert waren, dass ich diejenigen, die keine Gesichter mehr haben und die man nur durch Zahlen vermerkte, für immer unvergessen machen muss.“
Das tut er seit 30 Jahren, und 21 Filme sind bisher entstanden, von denen zuletzt „Hitlerjunge Salomon“ zu Beginn der Neunziger größeres Aufsehen erregte. Seitdem gab es einen Warschauer-Ghetto-Film, einen Babij-Yar-Film, einen Massaker-von-Kielce-Film, der nächste immer weniger beachtet als der davor, weil Brauner sich statt mit guten Regisseuren mit Erfüllungsgehilfen umgab und den Perspektiven-Wechsel auf den Holocaust nicht mitmachte.
Dann kam der „Letzte Zug“-Stoff, ungeheuerlich in jeder Hinsicht. Er lag Brauner wortwörtlich nahe, wurden Berlins Juden doch 1943 auf Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald getrieben, einen Kilometer Luftlinie von dem Haus, wo der polnische Jude Artur Brauner seit langem lebt. Der Stoff war unverfilmt; kein Streifen hatte sich zuvor auf diese Reise begeben. Und er war eine enorme Regieherausforderung, sechs Tage unter 100 Eingepferchten in einem Waggon, kein Platz für die Menschen, kein Raum für die Kamera und kein Ort für Hoffnung.
Dann, nach mehreren Personalwechseln, kam die Nachricht, Joseph Vilsmaier übernehme die Regie. Jener Vilsmaier, den die Kritik nach dem großen „Marlene“-Fiasko und diversen kleineren bereits aufgegeben hatte, ein „Was du siehst ist was du kriegst“-Filmer, plakativ, ohne Distanz und doppelten Boden. Der „Letzte Zug“, damit schien er entgleist vom ersten Tag an.
Man fragt sich, wie der „Zug“ aussähe, wäre nicht bei Prag zu Drehbeginn ein drei Meter hoher Kameraturm unter Vilsmaier zusammengebrochen. Bei dem Sturz riss eine alte Wirbelverletzung, die er sich am Set von „Stalingrad“ zugezogen hatte, wieder auf. Zwei Wochen stand die Produktion still, und auch in der Folgezeit war Vilsmaier nur eingeschränkt arbeitsfähig. Seine Frau Dana Vávrová sprang ein, Schauspielerin und selbst regieerfahren, und wurde sein Sprachrohr. Sie überbrachte nicht nur Anweisungen, sondern übersetzte sie auch an die (weitgehend) tschechische Besetzung und Crew. Nicht genug der Probleme: Brauner ging von herkömmlichen Rückprojektionen aus, wo am Zug vorbeiziehende Landschaften mit Bildern des Waggons kombiniert werden. Vilsmaier aber drehte die Innenaufnahmen vor einer grünen Wand, auf der die Landschaft digital eingefügt wird. Die Bearbeitung erhöhte das Budget um 200 000 auf 2,7 Mio. Euro.
Es ist müßig, über den Vávrová-Anteil zu spekulieren, aber „Der letzte Zug“ fand auf die Schienen zurück. Er rollt unerbittlich auf die Rampe zu mit jedem darstellbaren Horror, mit Durst und Hunger, MP-Garben von außen und Zerfleischung da drinnen. Ja, die ersten Schweißperlen laufen den Darstellern erst nach 36 Stunden herab, und die Hemden bleiben noch länger sauber. Natürlich war die Realität viel schlimmer, aber Brauner dreht Filme für eine Nachwelt, für die dritte und vierte Generation danach, für Schulvorführungen, und dazu braucht er eine Altersfreigabe ab zwölf.
So ungebrochen wurde der Holocaust seit zwei Jahrzehnten nicht mehr dargestellt. Hierin treffen sich die Sicht des Überlebenden Artur Brauner und der Modus operandi des Regisseurs Joseph Vilsmaier, ergänzt durch die Vermittlerin Dana Vávrová, die dem Holzschnitt nicht alle, aber viele unbeholfen-grobe Kanten abgeschmirgelt hat. „Der letzte Zug“ wirkt wie aus der Zeit geschlagen, und in seiner trotzigen Verweigerung von Historisierung dürfte er für viele jüngere Zuschauer als Schock daherkommen, die bereits an Holocaust light gewöhnt worden sind.
1947 drehte der junge Artur Brauner, nach Jahren des Versteckhaltens in den Wäldern Polens, den Film „Morituri“ über eine Gruppe von Verfolgten, die sich in einer Höhle vor den Nazischergen verbergen. Sechs Jahrzehnte und 280 Filme später kehrt Brauner in diese Wälder zurück, wo die beiden einzigen Insassen des „Letzten Zuges“, denen die Flucht gelingt, Aufnahme bei den Partisanen finden, zu denen Brauner einst gehörte.
Artikel erschienen am 07.11.2006