Polische Depression in Israel:
Quelle tagesschau.de von gestern Nachmittag.
Politische Depression in Israel
Viel verloren und nichts gewonnen?
Israels Feldzug gegen die Hisbollah im Libanon wird im eigenen Land immer duetlicher kritisiert: Viele Israelis sind mit dem Vorgehen ihrer Regierung und der Strategie ihrer Militärführung nicht einverstanden, die Proteste und Rufe nach Konsequenzen werden lauter. Für Ministerpräsident Olmert wird die Luft dünner – es droht ein Untersuchungsausschuss.
Von Clemens Verenkotte, ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv
[Bildunterschrift: Anti-Kriegs-Demonstration in Tel Aviv (Archivbild)]
Einige Hundert Menschen haben sich in der „Allee der Großen“ versammelt – auf dem Herzl-Berg in Jerusalem, am Grab der früheren israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir. Es sind vor allem Angehörige und Freunde von Soldaten, die während des 34 Tage andauernden Feldzugs gegen die Hisbollah gefallen sind. Mit Bedacht haben die Demonstranten diesen symbolträchtigen Ort ausgesucht – hatte doch Golda Meir nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973, den Israel nur mit Mühe gegen die Armee Ägyptens und Syriens hatte gewinnen können, sehr rasch ihr Amt als Regierungschefin verloren. Die Stimmung damals sei mit der heutigen vergleichbar, sagen viele.
„Sein Tod war umsonst“Unter den Demonstranten ist Baruch Ruben, ein Landwirtschafts-Professor von Anfang 60. Aus seinem Heimatdorf sei ein junger Soldat ums Leben gekommen, den er gut gekannt habe, sagt Baruch. Umsonst sei dieser Junge gestorben, der wie die gesamte Nation von der Regierung und der Armee in die Irre geführt worden wäre: „Sie wussten doch über die Hisbollah-Milizen Bescheid, ohne uns jedoch davon zu unterrichten. Sie haben die Armee nicht so vorbereitet, wie es nötig gewesen wäre. Sie haben den Krieg nicht so geführt, wie man das machen muss. Deshalb müssen sie gehen.“
Israels Lage nach Libanon-Konflikt verschlechtertUri Avnery sitzt im Wohnzimmer seiner Wohnung in Tel Aviv. Der 82jährige Friedensaktivist, am 10. September 1923 als Helmut Ostermann in Beckum, Westfalen geboren, setzt sich wie kaum ein zweiter israelischer Politiker und Publizist für eine dauerhafte Aussöhnung zwischen Israel und den arabischen Nachbarn ein.
[Bildunterschrift: Israelische Truppen bei ihrem Rückzug aus dem Libanon]
Was den jüngsten Konflikt mit dem Libanon von all den vorherigen Kriegen Israels unterscheidet, die er miterlebt hat, zunächst als junger Soldat, später als Journalist, Knesset-Abgeordneter, anschließend als Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung: „Dieser Krieg hat Israels Lage verschlechtert, und vielleicht sogar sehr verschlechtert. Es hat in der arabischen Welt die Idee aufgebracht, dass Israel doch mit Gewalt dazu gezwungen werden kann, zu tun, was es nicht tun will, und daher: Wenn wir Frieden machen, dass das nicht ein Frieden ist, den wir wollen und der unseren Interessen entspricht, sondern dass wir dazu gezwungen werden. Das ist ein schlechtes Bild.“
Die Stimmung: unzufrieden, entäuscht, schockiertEine nationale Depression hat sich ausgebreitet – ein diffuses Gefühl der militärischen Niederlage der schlagkräftigsten Armee der Region gegen eine kleine, einige Tausend Mann starke Guerillatruppe. „Die Stimmung in Israel in diesem Augenblick ist konfus, vollkommen verwirrt, alle Leute sind unzufrieden, alle Leute sind enttäuscht, alle Leute sind in einem Zustand von – ich würde beinahe sagen – Schock; eine ganz neue Erfahrung und dieser Schock kann sich so oder so auswirken.“
Olmerts Regierung unter Druck
Grafik: Israels Ministerpräsident Ehud Olmert ]
Politisch steht die Regierung Olmert mit dem Rücken zur Wand: Vorbei sind die recht vollmundigen Ankündigungen, Israel werde solange Krieg gegen Hamas und Hisbollah vorgehen, bis die drei Soldaten wieder in der Heimat wären. Jetzt wird, was allen Kundigen schon vorher klar war, natürlich verhandelt, über Drittpartner, mit der Hamas im Gaza-Streifen und den Schiitenmilizen im Libanon. Der Norden Israels ist nach 34 Tagen Katjuscha-Beschuss eine wirtschaftliche Sondernotzone geworden, deren Wiederaufbau den israelischen Staatshaushalt ebenso überfordern wird wie die Wiederaufrüstung der recht geleerten Waffenarsenale.
Forderungen nach Untersuchung werden lauterMit Mühe versucht Ministerpräsident Olmert die Einberufung einer staatlichen Untersuchungskommission zu verhindern – doch der innenpolitische Druck wird immer größer: 60.000 Menschen standen am Donnerstagabend auf dem Platz, auf dem vor über zehn Jahren der damaligen Regierungschef Rabin von einem jüdischen Extremisten ermordet wurde – sie erinnern an die drei entführten Soldaten, in deren Namen der Feldzug gegen die Hisbollah und die Militäroperation gegen militante Palästinenser im Gaza-Streifen eröffnet worden war. Olmert, so verlangten die Demonstranten, müsse genau untersuchen lassen, zu welchen Fehlern und Versäumnissen es während des Krieges gekommen ist. Allein mit einigen internen Kommissionen, die der bedrängte Regierungschef vorgeschlagen hat, will sich die Menge nicht zufrieden geben.
Stand: 03.09.2006 16:59 Uhr
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