Quelle – ARD-Hörfunk-Studio-WDR/ von 12 Uhr
Jähes Ende eines Aufschwungs
Die Altstadt Beiruts war nach dem Bürgerkrieg langsam zu neuem Glanz aufgestiegen. Doch seit dem Beginn der israelischen Angriffe steht hier das Leben still – und die Geschäftsleute befürchten den erneuten Niedergang des Viertels.
Von Björn Blaschke, WDR-Hörfunkkorrespondent, zurzeit in Beirut
Das Stadtzentrum von Beirut: Nach dem jahrelangen Bürgerkrieg war es weitgehend zerstört; den Rest erledigten dann Abrissbirnen. Der im Frühjahr 2005 ermordete Rafik Hariri, einer der reichsten Geschäftsmänner der Welt sowie mehrfach Premierminister Libanons, ließ das Viertel wieder auferstehen – und zwar moderner und mondäner. Boutiquen und Buchhandlungen; Restaurants, Eisdielen und Cafés; Hifi- und Computer-Shops, eine neue Moschee, neben einer neuen Kirche – alles wurde in der neuen Altstadt eingeplant – auf höchstem internationalen Niveau.
[Bildunterschrift: Rauchwolken am Himmel über Beirut.]
[Bildunterschrift: Grafik: Rafik Hariri (Archivbild)]
Das Konzept Hariris ging auf: Aus der ganzen Welt – vor allem der arabischen – strömten Touristen herbei. Das war bis vor einer Woche so. Und heute? Die Touristen sind weg; die Rolltore vor den Schaufenstern der Geschäfte heruntergelassen. In den Restaurants stehen die Stühle auf den Tischen; die Kühltheken der Eisdielen sind abgeschaltet und leer. Nur ein paar Liebespaare schlendern durch das verödete Centre Ville; eine Handvoll Soldaten schiebt Wache.
Der Verrückte in Beiruts Stadtzentrum“Die Läden sind zu, weil die meisten Geschäftsleute zu Beginn der Bombardements fürchteten, dass Israel die wirtschaftlich wichtigen Punkte Beiruts attackieren würde und besonders das Stadtzentrum“, sagt Rafiq Shaalan. Er ist der einzige Geschäftsmann, der seinen Laden nicht zu gemacht hat – ausgerechnet ein Souvenirgeschäft, in dem er neben Libanon-T-Shirts und Libanon-Fahnen, handgefertigte Keramik anbietet. „Ich bin der Verrückte des Stadtzentrums. Ich bin hier, weil ich im Südlibanon eine kleine Keramik-Fabrik besitze, die ich aber vor vier Tagen zu gemacht habe, weil gleich daneben eine Rakete eingeschlagen ist, und vieles auch bei mir kaputt gegangen ist. Und dann habe ich gesagt, ich lass mein Geschäft in Beirut auf, egal, was passiert.“
[Bildunterschrift: Der Westen Beiruts während des Libanonkriegs 1982]
Verluste habe er ohnehin; ob er nun seinen Laden, den niemand besucht, offen hält, oder ob er zuhause bleibt und dort Däumchen dreht. Mit vier Milliarden Dollar bezifferte unlängst Libanons Innenminister den wirtschaftlichen Schaden, den sein Land durch die israelischen Bombardements bisher erlitten habe. Ein großer Teil davon im Bereich Tourismus. Vier Milliarden Dollar – eine abstrakte Summe. Konkret heißt das für den Souvenirhändler und Produzenten Rafiq Shaalan: „Jetzt schon habe ich in meiner Fabrik 10.000 Dollar Verlust durch bereits gezahlte Löhne und Materialschäden. Hier hatte ich auch schon Angestellte bezahlt. Dazu kommen die Verluste durch die ausbleibenden Sommer-Kunden – alles zusammen sind es etwa 30.000 Dollar.“
„Es muss einen Handel geben“Trotz der Einbußen findet es Rafiq Schaalan richtig, dass die Schiitenmiliz Hisbollah nicht den Forderungen Israels nachkommt: Die Waffen strecken, den Südlibanon räumen und die zwei israelischen Soldaten, die sie gefangen genommen hat, freilassen? „Nein“, sagt Rafiq Schaalan, es müsse einen Handel geben: Im Austausch müssten auch die etwa 20 libanesischen Gefangenen, die in Israel einsitzen, nach Hause kommen können. Die Forderung der Hisbollah sei nur gerecht. Denn man habe keine andere Wahl als so zu handeln, meint Shaalan. Alles habe seinen Preis. „Die Wirtschaft muss dafür zahlen, einige Leute zahlen mit ihren Häusern, und manche mit ihrem Leben“, so Schaalan. Aber es sei für eine gute Sache – „für die Libanesen, die in Israel gefangenen sind.“
[Bildunterschrift: Das Hauptquartier der Hisbollah in einem Vorort der Stadt Beirut nach den Angriffen.]
Dass er selbst aus Südlibanon stamme, dem so genannten Herzland der Hisbollah, habe nichts mit seiner Haltung zu tun, sagt Rafiq Schaalan. „Ich bin Muslim, meine Frau ist Muslima – sie stammt aus Algerien. Sie ist Sunnitin; ich bin Schiit, wir haben 20 Jahre lang in Frankreich gewohnt – wir sind beide mittlerweile französische Staatsbürger. Aber all diese Punkte haben mich nie interessiert: Ich bin vor allem Libanese unter Libanesen in Libanon.“
Hisbollah – populär wie nie?Diese Position ist dieser Tage in Libanon häufig zu hören. Viele Libanesen sehen längst nicht mehr die einzelnen Bevölkerungsgruppen ihres Landes, die einander während des Bürgerkrieges noch bekämpft haben. Und mancher, der einst gegen die Hisbollah war, besinnt sich angesichts der israelischen Bombardements. Sie treffen ganz offensichtlich nicht bloß die Schiiten-Miliz sondern ganz Libanon. Das eint. „Die Israelis denken – schön, wir schwächen die Hisbollah. Aber das Gegenteil ist der Fall: Ihre Popularität ist größer als zuvor.“