Verheizt, verstoßen, vergessen:
Hunderttausende US-Kriegsveteranen sind obdachlos. Immer mehr von ihnen kommen aus dem Irak nach Hause. Sie fühlen sich von der Nation, für die sie ihr Leben riskierten, verraten. Einer von ihnen ist der New Yorker Herold Noel.
spiegel-online:
OBDACHLOSE IRAK-VETERANEN (vom 6. 5. 2006)
Verheizt, verstoßen, vergessen
Von Marc Pitzke, New York
Hunderttausende US-Kriegsveteranen sind obdachlos. Immer mehr von ihnen kommen aus dem Irak nach Hause. Sie fühlen sich von der Nation, für die sie ihr Leben riskierten, verraten. Einer von ihnen ist der New Yorker Herold Noel.
New York – Herold Noel hat Dinge erlebt, denen die meisten Menschen nur in ihren schlimmsten Alpträumen begegnen. Er hat mit angesehen, wie seinen Kameraden Arme und Beine abgesprengt wurden. Er hat Freunde sterben sehen. Er selbst hat, um sein Leben zu retten, andere umbringen müssen. „Ich habe“, sagt er, „dem Tod ins Auge geblickt.“
Tribeca Film Festival
Noel im Film „When I come home: „Wie kann mein Land mir das nur antun?“
Richtig zusammengebrochen ist der 26-jährige Schwarze aber erst später, nach der Rückkehr von jenem Ort, an dem das alles passierte – dem Irak. Da krümmte er sich eines Abends in seinem alten, roten Jeep am Straßenrand in Brooklyn mit einem Weinkrampf übers Steuerrad. „Ich habe drei Kinder“, schluchzte er. „Ich habe für mein Land gekämpft. Wie kann mein Land mir das jetzt nur antun?“
Verheizt, verstoßen, vergessen: Herold Noel gehört einer wenig beachteten, doch immer schneller wachsenden Randgruppe in den USA an – obdachlose Kriegsveteranen. Jedes Jahr finden sich nach Zählung der National Coalition for Homeless Veterans über eine halbe Million US-Kriegsheimkehrer ohne Dach über dem Kopf. Fast die Hälfte sind kranke, gealterte Vietnamveteranen. Doch ein rasant steigender Prozentsatz kommt, oft noch ganz jung, aus dem derzeit noch brennenden Konfliktherd – dem Irak.
„Asyl? Nie wieder!“
Man sieht Noel nicht an, was er durchgemacht hat. Er wirkt wie ein typischer Boy aus der Hip-Hop-Szene: Jeans, schlabbriges T-Shirt, Yankees-Mütze. Ein dünner Bart umflort seine Lippen, die Augen sind halb geschlossen. Als wollten sie möglichst nicht zurückschauen.
Mit 19 meldete sich Joel zur Armee, wie so viele arme Schwarze auf der Suche nach Geld. Im März 2003 zog er in den Irak. Er war Hauptgefreiter in der 3rd Infantry Division, die als „Speerspitze“ der Invasion den Weg freischlug. Noels Job war es, Panzersprit an die Front zu schaffen. Sein Sattelzug war eine Bombe auf Rädern. „Es knallte rechts und links“, lacht er leise. „Ich habe oft nur die Augen zugemacht und blind aus dem Fenster geschossen.“
Dafür zeichnete die Armee Noel mit mehreren Orden aus. Doch nach der Heimkehr begann das wahre Elend. Noel zog mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern zurück in seine Heimatstadt New York – ohne Geld, ohne Unterkunft. Sein Sozialwohnungsantrag wurde abgelehnt. Die Stadt steckte ihn in ein Asyl. Das war aber dreckig und verwahrlost, und sie klauten ihm dort alle Kleidungsstücke und Armee-Orden. „Asyl?“, sagt Noel. „Nie wieder!“
„Wir wollen nicht viel“
US-Veteran Noel: „Ich habe dem Tod ins Auge geblickt“
Die Ärzte diagnostizierten bei ihm außerdem ein posttraumatisches Stress-Syndrom (PTSD). Fast jeder fünfte Irak-Veteran leidet an solchen Traumaschäden. Er bekam Antidepressiva, doch nur befristet. Dann kehrten die Angstzustände und Wutanfälle zurück. Noel wurde erwerbsunfähig geschrieben, doch Invalidenrente erhielt er keine, da es oft bis zu einem Jahr dauert, bis neue Fälle bearbeitet sind. Das System ließ ihn im Stich.
Noel brachte Frau und Kinder bei Verwandten unter. Er selbst lebte in seinem Jeep, Baujahr 1994, an dessen Rückspiegel ein Duftspender in Palmenform hängt. Tagsüber zog er von Amt zu Amt. Niemand konnte ihm helfen. „Wir wollen nicht viel, nur einen Platz zum Schlafen“, flehte Noel einen Sozialarbeiter an.
Diese und andere Szenen hielt der New Yorker Dokumentarfilmer Dan Lohaus fest. Lohaus war im Januar 2005 bei einer Recherche auf Noel gestoßen und hatte beschlossen, seine Odyssee zu protokollieren. „Als ich Herold kennenlernte, war er am Ende“, sagt Lohaus. „Er hatte bei Minustemperaturen in seinem Auto geschlafen. Er hatte es bei fast jeder Organisation versucht, immer vergeblich.“
Mehr Interesse für Brad Pitt
Lohaus begleitete Noel acht Monate lang auf seiner kafkaesken Irrfahrt durch den Ämterschungel. Heraus kam „When I Came Home“, ein bewegender Dokumentarfilm, der jetzt beim Tribeca Film Festival Premiere hatte.
Schließlich stieß Noel auf die Veteranenorganisation Operation Truth. Deren Direktor Paul Rieckhoff hatte in der selben Irak-Einheit gedient wie er. „Jede Woche sehen wir einen neuen, obdachlosen Soldaten bei uns“, sagt Rieckhoff, der für Noel eine Medienkampagne inszenierte. CNN schaute vorbei. Die „New York Post“ versprach, Noel auf die Titelseite zu bringen, tauschte die Story dann aber gegen das Scheidungsdrama der Filmstars Brad Pitt und Jennifer Aniston aus.
Hilfe bekam Noel am Ende von unerhoffter Stelle – nicht vom Staat, sondern aus privater Hand. Ein anonymer Spender ließ ihm 18.500 Dollar zukommen, genug für ein Jahr Miete. Als Noel seine neue Wohnung in der Bronx zum ersten Mal betrat, sank er gerührt auf den Fußboden.
„When I Came Home“ wurde am Wochenende im New Yorker East Village vor ausverkauftem Haus uraufgeführt. Noel saß mit seinem dreijährigen Sohn Anthony still in der letzten Reihe. Anschließend gab es stehende Ovationen für Regisseur Lohaus und Noel, der sich schüchtern nach vorne auf die Bühne die Kinos begab. „Danke“, murmelte er. „Danke.“