Die Nachtbar.
Die Wände sind gläsern.
Gerade fährt ein grüner, fensterloser Lieferwagen mit der Aufschrift „Gerichtsmedizin“ vorüber.
Wohin fährt nachts um drei ein Van, ein fensterloser, mit der Aufschrift „Gerichtsmedizin?“
Oder ist das die falsche Frage?
Was ist drin, in einem grünen, fensterlosen Lieferwagen mit der Aufschrift „Gerichtsmedizin“, der nachts um drei an einer gläsernen Nachtbar vorüberfährt, die den Blick nach draußen erlaubt?
Auf einen schwarzen, lichtlosen Asphalt.
Eine Straße.
Eine vielbefahrende Straße.
Die nachts um drei verlassen wirkt.
Das Grün des Wagens ist kein schönes Grün.
Aber ein Grün.
Würde man nicht eher grau als Farbe erwarten?
Vielleicht ist es auch nur eine Art Dienstwagen.
Und ein Mitarbeiter der Rechtsmedizin fährt nachts um drei nach Hause.
Mit dem Wagen, der nicht sein Privatwagen ist.
Der ist gerade in der Werkstatt.
Oder?
Oder wird etwas nachts um drei transportiert?
Unauffällig?
Wieder wird ein 16jähriges Mädchen vermißt.
Seit ein paar Monaten.
In Berlin-Henningsdorf verschwand am 3. Juli 1997 morgens kurz nach 10 die 17jährige Maike.
Bis heute suchen ihre Eltern nach ihr.
Der Fall wurde nie aufgeklärt.
Wurde er ernsthaft untersucht?
Maike war hochschwanger.
Sie kam aus dem Krankenhaus.
Eine letzte Untersuchung, vor der Geburt.
Vielleicht dachten die ermittelnden Beamten, well, she’s this kind of runaway, mit 17 hochschwanger.
Das kann nichts Seriöses sein.
Die taucht schon wieder auf.
Jahrelang ließen die Eltern von Maike das Kinderzimmer, das für Maikes Baby im Elternhaus schon längst eingerichtet war,
unverändert.
Der Kinderwagen.
Unbenutzt.
Unverändert.
Im Juli 2004 griff der BERLINER KURIER den Fall noch einmal auf.
„Was geschah mit Maike?“
Die Überschrift fett, weiß auf schwarzem Untergrund.
Wie konnte ein Mädchen am hellichten Tag verschwinden?
Die Gäste der Nachtbar murmeln, immer wieder reden sie über das Thema.
Und wenn dann gerade ein Wagen der Gerichtsmedizin vorbeifährt – .
„Ja, damals wurde in Henningsdorf viel gebaut – !“
sagt jemand, der die Gegend kennt.
„Und es muß Mitwisser geben.
Denn es kursierte ein Satz – pass auf, dass es dir nicht geht, wie der Maike!“
Der Verdacht, Maike wurde von ihrem Freund in Beton versenkt.
Aber – und der letzte Gast zahlt und will jetzt auch nicht mehr reden –
„Die Polizei und die Staatsanwaltschaft waren wohl nicht übermäßig mit dem Fall — „
Der Wirt will jetzt schließen.
Zeit zu gehen.
Bis morgen.
Ja, dann.
Eigentlich sollte der Fall Maike nach dem Bericht im BERLINER KURIER von der Staatsanwalt Potsdam noch einmal aufgegriffen werden.
Versuche, Näheres zu erfahren, scheitern an einer Wand des Weiterverbundenwerdens.
Aber das Internet gibt neue Spuren.
Ein privater Verein hat sich zur Aufgabe gemacht, Fotos und letzte Hinweise von Vermißten ins Internet zu setzen.
Das Makabre daran ist die Vielzahl von vermeintlich einfach verschwundenen Menschen.
Oder anders ausgedrückt – von unaufgeklärten Fällen.
Der Verdacht im FAll Maike – Stoff für einen TATORT.
Aber die Wirklichkeit ist schlimmer.
Denn sie ist kein Film.
Im Film gibt es immer eine Auflösung.
Wenngleich die Selbstverständlichkeit, mit der in einem TATORT etwa,
eine Leiche erwartet wird,
beinah die Sinne dafür abstumpft,
was es in Wirklichkeit bedeutet.
Wenn ein Mensch einfach von einer Sekunde zur anderen verschwindet.
Schaut man sich die Geschichten der Vermißten und Verschwundenen im Internet einmal näher an, fällt ein allen gemeinsames Merkmal auf: sie waren oft allein unterwegs.