Das Gesicht des Vor-Mittags.

„First, I’ve to put my face on ..!“ sagt der Dienstagmorgen.

all-exclusive-Reportage über einen regennassen November-Vormittag in Berlin, am 15. November 2005. Gerade vorüber, der Vormittag. Hinter den Wänden. Und geschützt vor munteren Fragen…aber nicht vor – ein regenfrischer Text, sehr empfehlenswert! Vor allem für Ex-Morgenmuffel (der Vormittag ist ja überstanden..).
104121. /(Letzte Aktualisierung um 12 Uhr 43, nach unten fortlaufend im live-Text, bitte sehr!)
Draußen Regen. Wunderbar!! Mittagszeit: 12 Uhr 19, mezzig, in Berlin.


Moment, bitte – !

Es ist 11 Uhr 30 – !

Willkommen, erst einmal.

Die Textkrümel der Nacht noch wegräumen, you know!

Wenn morgens um kurz nach acht das Telefon klingelt,
und dummerweise nicht du es bist, der woanders durchklingelt,
sondern jemand bei dir
und ohne Einleitung zu seiner Tagesordnung übergeht,
mit lauter, unmodulierter Stimme –

dann brauchst Du ja Stunden oder Tage –
um dich von dieser Art von Frühmorgen-Überfall zu erholen.
Vor allem, da um diese Uhrzeit Dein Hirn, wenn überhaupt,

noch um die Frage kreist –

geh ich schon raus und hole Brötchen oder beiß ich mir die Zähne am letzten Krumen alter Worte aus – und
bleibe noch ungeschminkt, drin, hinter den Wänden….?
Unsichtbar – für die Außenwelt?
Und geschützt vor der munteren Frage: – „Wie geht’s?“

Oder der unverhohlenen Aufforderung:
„EINEN SCHÖNEN TAG NOCH!“

Wer kann das schon am Morgen vor dem Tagesbeginn wissen, nicht?
Wie es einem geht.
Und warum soll der Tag schön werden?

Dann entscheidest du dich, doch lieber noch drinnen zu bleiben,

da sagt Chérie, die Redaktionswildkatze,
dass sie aber das Fressi vom Vortag nicht mehr goutiert.
Sie bevorzugt die kleinen Dosen, nicht die großen.

Natürlich, verständlich, da geht es ihr wie uns und euch…

ja, willkommen im Dienstag !
Und natürlich gehst du jetzt raus, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, und trabst los, das kleine Feine zu finden, für Chérie, die Katze, die Redaktionskatze, unsere Redaktionswildkatze.
Dabei kommt dir in den Sinn, du könntest eigentlich auch für dich selbst – ja, vielleicht, dort lauert aber dann die Frage…wie es dir geht und die Aufforderung – zu einem schönen Tag….

Aber – warum eigentlich nicht?

Und du betrittst den Bäckerladen und hörst dich fragen –
„Na, wie geht es Ihnen heute?“
Die Frau schaut dich verdutzt an.

Und beim Hinausgehen tönst du – „Einen schönen Tag auch noch!“

Und strahlend hörst du in deinem Rücken:

JA – IHNEN AUCH!“

Na, geht doch.

„Einen schönen Tag noch…!“

wünscht FEMINISSIMA…oder lieber doch nicht..?

Bis nachher…!

Die grundgute und stets-gerechtigkeitsgerechte Marenga schnürt schon das Lunch-Text-Paket, das, auf dem steht – ach, seitdem ich Mutter geworden bin, und zum zweiten Mal, verzichte ich gerade auf mein Lieblingsessen – die Pommes, und lächelt mit rosa-geschminkten Bäckchen überwältigend zum Sinnsuche-Satz während im Hintergrund alle wohlwollend grinsen, was sonst.

Ach so, ja, draußen das Übliche.

SPIEGEL-online meldet als gelb-rote Eilmeldung, dass Matthias Platzeck mit überwältigender Mehrheit als Nachfolger von Franz Müntefering gewählt worden ist –
auf dem netten Parteitag der SPD, in Karlsruhe,
wo sich gestern die Männer voneinander verabschiedeten,
die Frauen sind schon verabschiedet –
ehe sie auftauchten –

und jetzt feiert der Männerklüngel sich selbst, und wie.
Also nichts Neues.

Was sonst – ?
Reifen rauschen durch Regen.
Ein neues Geräusch.
Endlich einmal.
Es hat lange nicht geregnet, in Berlin.
Alles trocken.
Staubtrocken.
Aber ab heute Morgen, ab vorhin, regnet es.
Jawoll, Münte ist erfolgreich, überwältigend, noch einmal abgewählt, der Jahrhundert-Generationswechsel oder wie auch immer – alt sehen sie immer schnell aus.
ja, draußen Regen.
Erfrischend.

Auch sonst überall das Übliche.
Das spurlos verschwundene Kleinkind in Elmshorn, das mit seinen 2 Jahren sein Bettchen, Wohnung und Haus allein verlassen hat, während seine 21-jährige, alleinerziehende Mutter schlief, es ist noch immer nicht wieder aufgetaucht.

im Irak gehen die Bomben hoch, als hätten sie nichts anderes zu tun.

Und ein müder Noch-Verteidigungsminister bekräftigt,
während es der neu-designierte auch noch einmal – genau:
Afghanistan wird bestätigt, wie wichtig die deutschen Schutztruppen oder wie sie nun heißen, sind,
vor allem, wenn gerade einer einem Attentat erlegen ist, einer der deutschen Schutz-Soldaten, am Hindukusch oder next-by.

Unten, um die Ecke, versucht gerade ein Mensch den neuen Optimismus in die Tat umzusetzen,
den lange zuvor leerstehenden Laden, es war der Blumenladen, wir berichteten, der im Sommer pleite ging, leider, weil die Menschen kaum noch Blumen verschenkten, außer zur Beerdigung,

ja, da tut sich jetzt nach langen Vorbereitungen mit auch Eigenarbeit,
eine neue – zumindest vorübergehend neue Existenz auf….

ein Handy-Laden.

Ja, ansonsten –
gerade wieder einmal das typischste aller Berlin- Geräusche im malträtierten Ohr:

Ein aufjaulendes Blaulicht jagt über die Kreuzung.

Besser, wir bleiben heute drin, hier, unter uns.

Hinter den Wänden…

**Oh, und hier ein NEWS-TICKER, der bestätigt, besser hinter den 4-Wänden zu bleiben:

Anschläge auf Bahnstrecke bei Hamburg:

Dienstag, 15. November 2005, 10.34 Uhr

Unbekannte haben Anschläge auf die Bahnstrecken von Berlin nach Hamburg und Hannover verübt und dadurch den Zugverkehr über Stunden erheblich beeinträchtigt. Vor dem Hintergrund geplanter Castor-Transporte am 19. November in das niedersächsische Zwischenlager Gorleben vermutet die Deutsche Bahn Atomkraftgegner als Täter. Nach Angaben der Bahn zerstörten sie mit Hakenkrallen an mehreren Stellen die Oberleitungen, unter anderem bei Paulinenaue in Brandenburg auf der Strecke nach Hamburg sowie bei Wustermark im Havelland auf der Strecke nach Hannover.***

Das ist ein mieses Gefühl, wenn du dann in so einem Zug drinsitzt!
Einmal, es war ausgerechnet der Nachtzug, und das erste Mal, weil du morgens früh, ganz woanders sein mußtest und wolltest –
da stand der Zug dann auch stundenlang…relativ kurz schon nach Berlin…
ein Gegenstand batte auf den Schienen gelegen und die Lok verletzt, sonst zum Glück niemanden.
Wir, die wir weit-weit-hinten in diesem Endlos-Zug saßen, hatten von dem Aufprall nichts gehört….
Uns beunruhigte, als wir realisierten, WIE lange, der Zug schon zu stehen schien…

Jemand hatte einen leeren Müllcontainer auf die Schienen gelegt.
Verriet uns auf besondere Nachfrage ein Schaffner, kreidebleich.

Ja, Zugfahren ist auch nicht mehr, was es einmal oder vielleicht sogar überhaupt nie war – also besser – du bleibst at home.

Alles abbauen….

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