wie Lafontaine die Massen aufwiegelt und seinen üblen Satz formuliert …außer der FAZ, der BILD und dem ORF (Österreich) hat laut google niemand an Lafontaines in der Presse bislang sich aufgeregt…über „Fremdarbeiter“ , Ausspruch von Lafontaine – hier im Bericht der FAZ von gestern und heute:
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Lafontaine unter dem Karl-Marx-Denkmal
Oskar Lafontaine
Unterm Marx-Kopf
Von Reiner Burger
15. Juni 2005 Noch um 18 Uhr scheint der erste öffentliche Auftritt Oskar Lafontaines nach dem Beginn der Debatte über ein neues Linksbündnis unter keinem guten Stern zu stehen. Es regnet in Strömen, und vielleicht 400 Leute haben sich unter dem kolossalen Chemnitzer Marx-Kopf zur nun schon 42. Montagsdemonstration gegen Sozialabbau zusammengefunden.
Für die Chance, Lafontaine als Redner zu gewinnen, verlegte man gerne die Zusammenkunft auf den Dienstag. Zumal die Montagsdemonstrationen in Chemnitz wie anderswo zuletzt eine intime Veranstaltung waren. Also fügten sich die Veranstalter dem eigentlichen Anlaß des ehemaligen SPD-Vorsitzenden, nach Chemnitz zu kommen: Eine Buchhandlung hatte ihn eingeladen, aus seinem neuen Werk mit dem schönen Titel „Politik für alle” zu lesen.
„Aus Wut wird Widerstand”
Bevor es unter dem Marx-Kopf richtig losgehen kann, verkündet einer der Organisatoren wie jede Woche die Regularien. Wenn sich nach den Ansprachen der Demonstrationszug formiere, sei den Anweisungen Folge zu leisten. Fahrräder dürften im Zug nur geschoben werden. Wer ein Fahrrad dabei habe, dürfe sich ebenso wie die Besitzer von Hunden, die anzuleinen seien, am Ende des Zugs einreihen. Während dann der erste Redner spricht, löst sich einer der Klebestreifen, der das Transparent mit der Buchstabenfolge „AWWW” am Podest des Marx-Kopfes halten soll. „AWWW” steht für „Aus Wut wird Widerstand”, das Motto der Veranstaltung.
Schlaff und naß hängt das Tuch herunter. Die Geduld der Demonstranten wird noch von zwei weiteren Rednern strapaziert. Aber wenigstens hört es auf zu regnen, und als endlich Lafontaine spricht, bleiben immer mehr Leute stehen. Zwischen 1.000 und 1.500 hören dem früheren saarländischen Ministerpräsidenten, SPD-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister zu.
Die Denkfabriken der Wirtschaftsverbände
Lafontaine redet sich schnell in Rage. Auch hier zeige sich, daß das Volk nicht mehr wolle, daß die Politik über seine Köpfe hinweg entscheide. Die Hartz-Gesetze seien ein Beispiel für Entscheidungen, die von der Mehrheit des Volkes abgelehnt würden, dennoch aber von der Mehrheit der Volksvertreter beschlossen worden seien. „Da stimmt etwas nicht mehr mit unserer Demokratie in Deutschland”, ruft Lafontaine erregt, und die Leute klatschen frenetisch und pfeifen und rufen. Nirgendwo auf der Welt sei die neoliberale Geistesverfassung so gründlich verankert wie in Deutschland. Das komme daher, daß die Abgeordneten nicht mehr Vertreter des Volkes, sondern Vertreter irgendwelcher wirtschaftlichen Interessen seien. „Weil das so ist, sind alle Reformen nicht mehr in demokratischen Diskussionen entwickelt worden, und deshalb sind sie auch so erbärmlich. Sie sind alle entwickelt worden in den Denkfabriken der Wirtschaftsverbände.”
Die Lösungen für die Schwierigkeiten Deutschlands liegen nach seiner Auffassung auf der Hand. Man brauche staatlich verordnete Mindestlöhne; wer behaupte, der Sozialstaat sei nicht mehr zu bezahlen, der lüge. „Wenn wir eine ordentliche Steuer- und Abgabenquote hätten wie unsere Nachbarn, dann hätten wir gewaltige Überschüsse in allen öffentlichen Kassen. Und keine der sozialen Schweinereien wäre nötig gewesen.” Auch eine andere Aussage wird unter den Augen Marx‘ und dem hinter dem Monument angebrachten Spruch „Proletarier aller Länder vereinigt euch” begeistert beklatscht: Weil der Staat verpflichtet sei, seine Bürger zu schützen, müsse der Staat verhindern, „daß Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen”.
Lafontaine kommt gut an
Zur Lesung im Lichthof des ehemaligen Warenhauses „Tietz” erscheint Lafontaine leicht verspätet. Zunächst mußten etliche Autogrammwünsche erfüllt und schließlich noch demonstriert werden. Lafontaine liest ein bißchen über Manipulation durch Sprache und redet dann doch frei. Von den meisten Plätzen aus wird er dabei lächelnd angeschaut. Auch seine Empfehlung für den Umgang mit Steuerflüchtlingen kommt bei dem vorwiegend grauschopfigen Publikum gut an: Wer sich nicht über Steuern an der Finanzierung des Staats beteilige, dem solle die Staatsbürgerschaft entzogen werden.
In der Fragerunde erhebt sich ein junger Mann, der zunächst bekundet, die Ausführungen hätten ihn begeistert. Außer der Sache mit der Staatsbürgerschaft. Daß man diese nicht so einfach verlieren könne, stehe doch im Grundgesetz Artikel 16, und der sei gar nicht einfach abzuschaffen. Daß es überhaupt eines Artikels 16 bedürfe, zeigten doch die Ausbürgerungen durch die Nationalsozialisten und zu DDR-Zeiten. Nein, nein, erwidert Lafontaine ohne Zögern, er wolle ja keine Aberkennung aus politischen Gründen und auch gehöre der Artikel 16 gar nicht zum ehernen Bestand des Grundgesetzes.
Text: F.A.Z., 16.06.2005, Nr. 137 / Seite 2