PRESSE-STIMMEN zum START VON HARTZ IV.
Wir haben den heutigen Kommentar in der BERLINER ZEITUNG dazu ausgewählt. Sehr gut – bitte lesen, denn mehr Wissen tut dem Kopf nicht weh!
Start geglückt, Ausgang offen
Thorsten Knuf
Wolfgang Clement, der sozialdemokratische Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, liebt die bildhafte Sprache. Als sich am Wochenende abzeichnete, dass wegen einer Computerpanne der Start der Arbeitsmarktreform Hartz IV ein wenig rumpelig verlaufen würde, vermerkte der Minister lapidar: „Bei uns geht es gerade zu wie auf einer Großbaustelle oder bei einem Umzug.“
In der Tat haben es Umzüge so an sich, dass trotz aller Vorbereitungen nicht immer alles glatt läuft. Irgend eine Tasse geht immer zu Bruch, irgend eine Schranktür bekommt immer einen Kratzer. Ähnlich stellte es sich am Montag mit Hartz IV dar: Die Schlangen in den Arbeitsagenturen waren teilweise länger als sonst, bei rund fünf Prozent der Betroffenen konnte das neue Arbeitslosengeld II nicht gleich zum Jahresbeginn überwiesen werden. Das war ärgerlich. Aber das ganz große Chaos blieb aus – was angesichts des Zeitdrucks, der technischen Probleme und des politischen Gezerres der vergangenen Monate schon ein kleines Wunder ist.
Doch auch wenn der Start der Reform einigermaßen passabel über die Bühne gegangen ist, steht die eigentliche Bewährungsprobe für Minister Clement, die rot-grüne Regierung und die Bundesagentur für Arbeit erst noch aus. Denn zwei Dinge sind bisher weitgehend unerledigt geblieben: Zum einen muss erst noch der Erweis erbracht werden, dass Hartz IV tatsächlich dazu geeignet ist, die Arbeitslosigkeit in Deutschland spürbar und dauerhaft zu senken. Zum anderen ist es den Reformern bisher noch nicht gelungen, der breiten Mehrheit der Menschen im Land zu vermitteln, warum diese schmerzhaften Änderungen im Sozialsystem sinnvoll sind.
Wer in den vergangenen Monaten die Debatte über Hartz IV verfolgt hat, konnte mitunter den Eindruck gewinnen, als gehe es nur darum, die Zuwendungen für Langzeitarbeitslose zu kürzen – und das rechtzeitig zum 1. Januar 2005. Tatsächlich sollte aber mit der Einführung des neuen Arbeitslosengeldes II auch eine deutlich verbesserte Vermittlung der Jobsuchenden durch die Arbeitsagenturen einsetzen. Neben dem Druck auf die Erwerbslosen, sich eine neue Stelle zu suchen, sollten auch deren Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt steigen.
Das klingt erst einmal überzeugend, doch liegt genau hier die Schwachstelle der Reform. Die Bundesregierung predigt das Motto „Fordern und Fördern“. Nur kommen die Arbeitsagenturen mit dem Fördern nicht so richtig hinterher.
In den vergangenen Monaten waren ihre Kräfte weitgehend mit der Bearbeitung der Arbeitslosengeld II-Anträge gebunden. Darunter litt der Aufbau eines effizienteren Vermittlungssystems. Gerade einmal 18 von 162 Arbeitsagenturen der Republik sind bislang zu modernen Kundenzentren umgebaut worden. Wo das nicht geschehen ist, hängt vielfach noch der alte Behördenmief in den Amtsstuben. Das Ansehen der Agenturen bei Kunden und Arbeitgebern ist nach wie vor mäßig, und für die größte Problemgruppe auf dem Arbeitsmarkt, die Langzeitarbeitslosen, soll erst im Laufe des Jahres ein Betreuungsschlüssel von einem Vermittler pro 150 Erwerbslosen erreicht werden. Bisher kümmert sich ein Vermittler um bis zu 350 Personen. Die finanziellen Einbußen, die Hartz IV für viele mit sich bringt, müssen die Betroffenen bis auf weiteres dennoch hinnehmen.
Für die Bundesregierung könnte dieser Umstand politisch noch gefährlich werden. Denn ohne eine bessere Vermittlung wird sich die Arbeitslosigkeit bei anhaltender Wachstumsschwäche kaum verringern lassen. Die Sommerproteste gegen Hartz IV hat die Regierung relativ souverän ausgesessen. Aber was passiert, wenn sich in den kommenden Monaten keine sichtbaren Erfolge auf dem Arbeitsmarkt einstellen? Es ist wahrscheinlich, dass Rot-Grün dann wieder unter den Druck der Straße, der Gewerkschaften und der ostdeutschen Länder gerät. Im Mai wählt Nordrhein-Westfalen, und bereits da geht es für die Bundesregierung bekanntlich um alles oder nichts.
Noch mal zurück zu Wolfgang Clement. Der hat am Wochenende nicht nur von Baustellen und Umzügen gesprochen. Sondern auch davon, dass die Arbeitslosenzahl vom Sommer an „in einem Gleitflug“ nach unten gehen werde – langsam aber sicher.
Sollte sich herausstellen, dass die Systeme versagen, wird aus Clements Gleitflug wohl eher ein Sturzflug. Nicht für den Arbeitsmarkt. Aber für Rot-Grün.
Lesen Sie auch:
• Reformstart unter Polizeischutz
• Die
• Szenen relativer Ruhe
• „Es wird bei weitem nicht zu den Einsparungen kommen“
–