BVG für 1 Euro zu haben..

…für euch und uns gesammelt: Was der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin( SPD) alles verkaufen will!

Aus der WELT, vom 11.11. 2004

Bitte-sehr:

BVG für einen Euro zu haben

Finanzsenator Thilo Sarrazin will langfristig auch Kliniken und

Wohnungsbaugesellschaften verkaufen

von Joachim Fahrun

Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hält an seinen Plänen für eine

weitreichende Privatisierung des Landesvermögens fest, obwohl die

rot-rote Koalition in dieser Legislaturperiode weitere

Verkaufsentscheidungen ablehnt. Beim SPD-nahen Unternehmerverein

„Berliner Wirtschaftsgespräche“ am Dienstagabend machte der Senator

aber auch deutlich, daß sich die Haushaltsprobleme Berlins durch

Privatisierung nicht lösen lassen. Sämtliche großen Landesunternehmen

außer der Bankgesellschaft, also die sechs Wohnungsunternehmen, die

BSR, die BVG, der Krankenhauskonzern Vivantes und die beim Land

verbliebene Hälfte der Wasserbetriebe seien zusammen etwa 6 Milliarden

Euro wert, rechnete Sarrazin vor. Demgegenüber stehe ein Schuldenberg,

der bis 2007 auf 67 Milliarden Euro anwachsen werde, weil die Stadt

immer noch mehr ausgebe als sie einnehme. Für die Bankgesellschaft,

die der Senat 2001 mit einem Milliardenzuschuß vor der Pleite retten

und gewaltige Altrisiken aus dem Immobiliengeschäft übernehmen mußte,

erwartet Sarrazin beim 2007 geplanten Verkauf zudem einen

„ordentlichen Milliardenbetrag“.

Darüber hinaus würde Sarrazin fast jeden Betrieb weggeben. „Jeder, der

die BVG für einen Euro nimmt, bekommt von mir den Landesorden“, sagte

er. Das Angebot gelte jedoch nur für solche Interessenten, die auch

alle Aufgaben des Verkehrsunternehmens schultern wollen. Bisher

subventioniere Berlin die BVG jährlich mit 500 Millionen Euro. Die

Verkehrsbetriebe gelten als schwerster Sanierungsfall unter den

Landesbeteiligungen und als erhebliches Risiko für den Landeshaushalt.

Der Sozialdemokrat plädierte auch dafür, die Krankenhausversorgung aus

der Hand der Stadt zu geben. „Vivantes steht langfristig zum Verkauf“,

sagte Sarrazin. Eventuell könne das Unternehmen auch stufenweise

angeboten werden. Im Falle von Stadtreinigung und Wasserbetrieben

sieht Sarrazin eine Rolle von Privaten skeptischer. Die BSR habe einen

Monopolvertrag mit der Stadt bis ins nächste Jahrzehnt. Solange sei

ein Verkauf nicht machbar. Auch die Wasserbetriebe seien als einziger

Wasserversorger in einer Monopolposition, daher sei es weniger ratsam,

die Berlin gehörende Hälfte zu veräußern.

Anders schätzt der Finanzsenator die Lage bei den Wohnungsunternehmen

ein. Nach dem Verkauf der GSW in diesem Jahr für den unerwartet hohen

Kaufpreis von 405 Millionen Euro an den US-Investor Cerberus, der auch

die 1,8 Milliarden Schulden der GSW übernahm, wollen SPD und PDS keine

Wohnungsbaugesellschaft mehr verkaufen. Sarrazin sieht das anders. Er

taxiert den Wert der sechs mit insgesamt rund 10 Milliarden Euro

verschuldeten Unternehmen auf 1,5 bis 2,5 Milliarden Euro. Noch sei er

als Verkaufsbefürworter in einer „Minderheitenposition“ in Senat und

Koalition, räumte Sarrazin ein. „Das wird sich ändern, wenn das Urteil

aus Karlsruhe vorliegt“, sagte Sarrazin. Der Senator geht davon aus,

daß das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Berlin einen Anspruch

auf Sanierungshilfe des Bundes nur zugestehen wird, wenn alle

Einnahmemöglichkeiten inklusive einer weitreichenden Privatisierung

aller Vermögenswerte ausgeschöpft sind. Bis zum Urteil sei man bemüht,

den Wert der Wohnungsunternehmen zu steigern.

Sarrazin mußte gegenüber den Wirtschaftsexperten auf dem Podium der

SPD-Veranstaltung seine Strategie rechtfertigen, Unternehmen erst zu

sanieren und dann zu verkaufen. Hugo Dicke vom Institut für

Weltwirtschaft plädierte dafür, alle Unternehmen innerhalb von zwei

Jahren loszuschlagen und zahlreiche Tätigkeiten des Senats und der

Bezirke an Private zu vergeben oder einzustellen. So könne Berlin

seine Haushaltskrise auch aus eigener Kraft lösen. Dieser These

widersprach Klaus Zimmermann. Hilfe des Bundes für Berlin ist aus

Sicht des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

die einzige Chance, aus der Schuldenfalle zu entkommen.

Der Unternehmensberater Franz-Joseph Pröpper bezeichnete die

weitreichenden Besitzstandsgarantien für das Personal der öffentlichen

Betriebe als größtes Hindernis für deren Sanierung. Er schlug vor, wie

in der Privatwirtschaft das Insolvenzrecht einzusetzen, um

Zugeständnisse der Personalräte zu erzwingen. Dazu müßten Teile der

BVG an Private verkauft und die Rechtsform der Anstalt öffentlichen

Rechts geändert werden. Dann könne die BVG pleite gehen. Die

Beschäftigten würden Abstriche hinnehmen, um ihre Jobs zu retten.

„Eine charmante Überlegung“, fand der Senator.

Artikel erschienen am Do, 11. November 2004

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