Verursacht Impfspray NASALFLU Gesichtslähmung?
Kritiker erheben Filzvorwürfe gegen Hersteller von Nasenspray/für Euch und uns dokumentiert aus dem TAGESANZEIGER/Schweiz/ (ein toll recherchierter Artikel außerdem…!)
TAGES-ANZEIGER vom 26.02.2004 (SCHWEIZ)
Kritiker erheben Filzvorwürfe gegen Hersteller von Grippespray
Verursachte der Impfspray Nasalflu Gesichtslähmungen? Bis heute ist diese Frage nicht geklärt. Der Filz beim Hersteller Berna Biotech behindere die Aufklärung, sagen Kritiker.
Von Reto Kohler
Wieder einmal grassiert die Grippe. In der Schweiz fordert keine Infektionskrankheit mehr Todesopfer. Eigentlich gibt es für die Grippe eine wirksame Impfung, die uns vor dem Erkranken schützt.
Doch im Winter 2000/2001 passierte einigen Geimpften genau das Gegenteil. Die in Bern ansässige Firma Berna Biotech brachte einen neuartigen Nasenimpfstoff gegen Grippe auf den Markt. Mit der Impfung wurden viele gleichzeitig krank. Der Fall ist bis heute nicht gelöst. Es besteht der Verdacht, dass es der neue Impfstoff war, der die Leute krankgemacht hat.
Nasalflu hiess der Spray, mit dem man sich den Wirkstoff, die eigentliche Impfung, in die Nase geblasen hat. Bald nach der Markteinführung beklagten sich viele Geimpfte über teils massive Nebenwirkungen. Rund 15 Betroffene meldeten sich wegen schwerer Gesichtslähmungen bei der Schweizerischen Patientenorganisation (SPO). «Die meisten davon haben noch heute Probleme», sagt SPO-Präsidentin Margrit Kessler.
Das war vor zwei Jahren. Der Nasenspray ist daraufhin vom Markt verschwunden. «Für uns ist das kein Thema mehr», sagt Jean-Louis Zürcher, Pressesprecher beim Bundesamt für Gesundheit (BAG).
Doch wer der Geschichte von Nasalflu nachgeht, stösst auf Sonderbares. Die Berna unterhält ein enges Netzwerk von Beziehungen zu nahe stehenden Wissenschaftlern. Manche Gesundheitsexperten erkennen darin eine bedenkliche Interessenvermischung. «Man muss das als Filz bezeichnen», sagt Etzel Gysling, Herausgeber der Zeitschrift «Pharma-Kritik».
Ein wichtiger Teil dieses Netzwerks ist Robert Steffen vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich. Berna hat Steffen den Auftrag gegeben, in einer Studie zu untersuchen, ob die Gesichtslähmungen tatsächlich von Nasalflu verursacht worden sind. Die Resultate sind aber bis heute nicht erschienen. «Wir werden die Studie nächste Woche einem internationalen Fachmagazin schicken», sagt Margot Mütsch, Pharmazeutin und Absolventin des Kurses Masters of Public Health, die in Steffens Team mit der Studie betraut ist. Ob und wann die Studie erscheinen darf, entscheidet der Herausgeber. Die Resultate liegen allerdings jetzt schon vor. «Wir werden die Daten in Absprache mit der Berna veröffentlichen», meint Mütsch. Ihr selber liegt daran, die Öffentlichkeit, vor allem die Ärzte, möglichst bald zu informieren.
Robert Steffen ist aber nicht nur Leiter der Studie, welche die Berna in Auftrag gegeben hat, er war bis vor kurzem auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Berna Biotech. Dieser wurde «vor einigen Tagen aufgelöst», wie Patrik Richard, Pressesprecher der Berna Biotech, erklärt. Man sei dabei, eine effizientere, projektbezogenere Organisationsstruktur zu erarbeiten.
Steffen ist zudem seit 1996 Mitglied der Schweizerischen Kommission für Impffragen (Skif). Die Kommission berät den Bund bei allen Problemen, die rund um das Impfen auftauchen.
«Das sind eigenartige Ämterkombinationen. Solche Interessenvermischungen muss man verhindern», sagt SPO-Präsidentin Kessler.
Die Betroffenen warten schon lange
«Die Betroffenen warten schon sehr lange auf diese Studie», sagt der Zürcher Anwalt Robert Geisseler, der die Interessen dieser Betroffenen vertritt. Auf Grund der persönlichen Verquickungen meldet er Zweifel an, ob die Studie wirklich objektiv ist. Er wundert sich zudem darüber, dass die Forscher keinen seiner Klienten kontaktiert haben.
Schon bei den klinischen Tests, die der Einführung von Nasalflu vorangegangen waren, hatte die Berna auf nahe stehende Experten gesetzt. So stammen viele der Studien aus der Feder des Suva-Chefarztes Ulrich Glück, der wiederum der Bruder von Reinhard Glück ist. Reinhard Glück ist Chef der Forschung und Entwicklung der Berna Biotech. Die Safety-Studie schliesslich, welche Nebenwirkungen hätte aufdecken sollen, wurde vom Chefarzt des Kantonsspitals Freiburg, Claude Regamey, durchgeführt. Claude Regameys Vater war Forschungschef am Schweizerischen Serum- und Impfinstitut gewesen, aus dem die Berna hervorgegangen ist. All dies ist dem Geschäftsbericht 2000 der Berna zu entnehmen. Die Verantwortlichen der Firma hielten die Verstrickungen offenbar für harmlos. Manche Leute sehen das anders. «Das sind absolut unhaltbare Zustände», sagt Margrit Kessler. Auch «Pharma-Kritik»-Herausgeber Etzel Gysling findet die Verstrickungen «problematisch».
Die Berna bot Steffen Aktien an
Robert Steffen ist anderer Ansicht. Er sagt, er sei sehr wohl darauf bedacht, seine Unabhängigkeit zu wahren. Als Entschädigung für seine Tätigkeit habe die Berna ihm einige Aktien angeboten. Doch dieses Angebot habe er strikte abgelehnt. Als Lohn für die jährliche Sitzung bei der Berna habe er lediglich eine Entschädigung in dreistelliger Höhe erhalten. Da Experten auf seinem Fachgebiet rar seien, werde er immer wieder um Rat gefragt. Deshalb sei er für verschiedene pharmazeutische Unternehmen, unter anderem für alle weltweit aktiven Impfstoffproduzenten, tätig, sagt Steffen. Bei der Nasalflu-Studie seien zudem auch amerikanische Experten beteiligt gewesen.
Kuno Sommer, Firmenchef der Berna Biotech, hält das Engagement von Robert Steffen für unproblematisch. «Das Institut für Sozial- und Präventivmedizin, wo Robert Steffen tätig ist, ist die einzige Institution, die eine solch komplexe Studie überhaupt durchführen kann», sagt er. Sommer hält Steffen für einen unabhängigen Wissenschaftler, der sich nicht beeinflussen lässt. «Die Schweiz ist ein kleines Land, und wir haben nicht viele Experten seines Kalibers.» Eine direkte Folge davon sei, dass man die Namen von führenden Experten, wie eben jenen von Robert Steffen, immer wieder antreffe.
Dieses Argument lässt SPO-Frau Kessler nicht gelten. Man müsse von Anfang an einen völlig unabhängigen Wissenschaftler mit solchen Studien beauftragen, um mögliche Interessenkonflikte zu vermeiden. Wenn nötig einen Ausländer. Auch Markus Trutmann, Arzt und Chefredaktor der «Schweizerischen Ärztezeitung», findet es problematisch, dass gerade Steffen den Auftrag für die Studie bekommen habe. «Es wäre sinnvoll gewesen, wenn eine unabhängige Institution diese Studie durchgeführt hätte», sagt er. Eine Möglichkeit wäre seiner Ansicht nach das Bundesamt für Gesundheit gewesen. Doch dort sieht man keinen Handlungsbedarf, sagt BAG-Pressesprecher Jean-Louis Zürcher.