„Letzter Akt im Intrigantenstadl“

So sehen es andere: Kommentar und Analyse aus MERKUR-online vom 5. 2. 2004 zum Jobantritt von Weise als Florian-Gerster-Nachfolge bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, ab 1. 1. 2004 „Bundesagentur für Arbeit“ genannt.
Letzter Akt im Intrigantenstadl

Weise soll Gerster ersetzen –

Warum der BA-Chef gehen musste

München – Der letzte Akt im Intrigantenstadl geht ohne den Hauptdarsteller über die Bühne. Florian Gerster hat sein frisch renoviertes Büro schon geräumt. Der Nachfolger als Boss der Bundesagentur für Arbeit (BA) wird nun wohl ausgerechnet sein Vize Frank-Jürgen Weise. Weise ist einer von vielen, die bis zuletzt munter an Gersters Stuhl sägten. Für den abgelösten BA-Chef eine bittere Lektion. Warum es so weit kam? Gerster ist den falschen Leuten richtig kräftig auf die Füße gestiegen.

Antreten zum Abschminken: Florian Gerster, im Intrigantenstadl Bundesanstalt in der Rolle des ungeschickten Opfers.

Foto: dpa

„Vertrauensverlust“ hieß es am Ende kurz. Der Verwaltungsrat ließ ihn fallen, die Bundesregierung feuerte den Behördenchef. „Schlagzeilen, immer neue Schlagzeilen“, stöhnt ein Verwaltungsrat – diese ewige Unruhe habe der Behörde geschadet. Auslöser war der Zoff um wenige Beraterverträge. Der Grund des Ärgers liegt jedoch tiefer. Tatsächlich hatte er sich in unheimlich kurzer Zeit bei allen Seiten unbeliebt gemacht.

Die Mitarbeiter waren sauer über Gersters arrogante Art und die von oben verordnete Behördenreform. Vielen der 90 000 Kollegen gingen Gersters Umbaupläne zu schnell und zu weit. Spötter sagen, das Sägen an Gersters Stuhl sei nur durch das Schnarchen mancher Kollegen in seiner Behörde übertönt worden. Auch CDU-Mitglied Weise stand unter Verdacht, entlastendes Material gegen SPD-Mann Gerster zurückgehalten zu haben. Wollte er nach oben?

Die Gewerkschaftsvertreter im Verwaltungsrat hatten vor allem finanzielle Interessen. Von den jährlich rund 10 Milliarden Euro, die die Bundesagentur in die Fortbildung der Arbeitslosen steckt, fließt traditionell ein Großteil an Institute wie das BFW, das Bildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes. DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer beaufsichtigte jahrelang BA und Bildungswerk, bis vergangenes Jahr die Öffentlichkeit auf die Idee kam, dass Engelen-Kefer hier ein munteres Selbstbedienungsgeschäft eröffnet haben könnte.

Die Erfolge der Massenfortbildung für den Arbeitsmarkt sind umstritten. Da wurden schon mal erfahrene Personaler zum mehrwöchigen „So bewerbe ich mich richtig“-Training geschickt und Informatiker zur PC-Schulung.

Gerster hatte diese Ausgaben systematisch begrenzt. Beliebt macht man sich damit nicht. Auch nicht bei den Arbeitgebern, neben den Gewerkschaften eine zweite mächtige Gruppe im Verwaltungsrat. Deren Institute, vor allem das „Bildungswerk der bayerischen Wirtschaft“, waren die zweitgrößten Auftragnehmer der BA. Dem bayerischen Funktionär und BA-Aufseher Stephan Götzl wurden dabei ähnliche Aufgabenverquickungen wie Engelen-Kefer nachgesagt. In seiner Brust schlage „genau ein Herz“, dementiert Götzl, „nämlich für die Reformen in der Agentur. Es wurden ja einige Milliarden eingespart, auch zu Lasten der Weiterbildungsinstitute. Dahinter stehen wir.“ Gerster wurde trotzdem gekippt. Weise, der Mann aus der Wirtschaft, soll’s besser machen.

Der stellvertretende Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, folgt dem entlassenen Florian Gerster.

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Gersters Politik bescherte den Weiterbildungsträgern Umsatzeinbußen zwischen 15 (Arbeitgeber) und 30 Prozent (Gewerkschaften), sagt FDP-Arbeitsmarktexperte Dirk Niebel: „Das tat weh.“ Darin sei die Ursache des Abgangs zu suchen. Man bedenke den Zeitpunkt: Im Dezember hatten die Räte Gerster das Vertrauen ausgesprochen, aber ihn im Januar gestürzt. Kein Zufall: Seit 1. Januar haben die Aufseher das Vorschlagsrecht des Nachfolgers. Sie haben, verlautet aus dem Gremium, Weise selbst ausgewählt.

Dritter Akteur im Verwaltungsrat: der Staat. Dem hatte die BA jahrelang die Statistiken geschönt, indem Arbeitslose auf Fortbildung geschickt wurden. Weil alle Beteiligten – Mitarbeiter, Gewerkschaften, Arbeitgeber und Staat – im Gremium jeweils sieben Stimmen haben, fiel das finale Urteil so deutlich aus. Theatralisch perfekt: „Gerster hat den Großteil der Munition für seinen Abschuss auch noch selbst geliefert“, staunt Niebel.

Er fordert eine Totalauflösung der BA. Eine schlanke Versicherungsagentur, eine schmale Arbeitsmarktagentur und viele lokale Jobcenter – nur das soll übrig bleiben vom Behördenkoloss.

Gersters Abschuss könnte dann für potenzielle Selbstbediener im Verwaltungsrat nach hinten losgehen, sagt ein Verwaltungsrat erfrischend deutlich: „Wenn die BA jetzt den Bach runtergeht, dann sind alle Aufträge weg.“

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER